Eine Droge wird zum Arzneimittel
Das Cannabis mehr kann, als Freizeitkonsumenten in niederländischen Coffeeshops einen entspannten Nachmittag zu verschaffen, ist mittlerweile schon eine ganze Weile bekannt und wird auch jenseits der Legalisierungbefürworter als Fakt wahrgenommen. Seit dem 10. März 2017 können Patienten, welche die Vorraussetzungen erfüllen, Cannabis durch ihren Arzt verschrieben bekommen und, so sieht es das Gesetz zumindest vor, regelmäßig von einer Übernahme der Kosten durch ihre Krankenkasse ausgehen.
Was ist es und wie wirkt es
Als Erstes sollten wir uns vielleicht damit befassen, was Cannabis eigentlich ist und wie es in unserem Körper wirkt. Vereinfacht ausgedrückt könnte man sagen, dass die Inhaltsstoffe der Cannabispflanze, die sogenannten Cannabinoide, die Rezeptoren des auch nach ihnen benannten Endocannabinoiden-Systems ansprechen und dadurch ihre spezifische Wirkung entfalten.
Auch wenn über dieses körpereigene System noch nicht richtig viel bekannt ist, geht man davon aus, dass es unter anderem in der Regulation des Immunsystems sowie in Lernprozessen eine Rolle spielt. Zu diesem Zweck bildet unser Körper eigene, also endogene, Cannabinoide welche als Transmitter für den CB1 und CB2 Rezeptor (aber auch noch weitere) dienen.
Durch die Gabe von exogenen (also von aussen zugeführten) Cannabinoiden können wir bewusst Einfluss auf diese körpereigenen Signalwege nehmen und uns deren Auswirkungen zu Nutze machen.
Beinflusst werden beispielsweise das Schmerzempfinden, entzündliche Vorgänge, Appetit und Verdauungsorgane aber auch die emotionale Stimmung.
THC, CBD und das war’s?
Die beiden bekanntesten Inhaltsstoffe der Hanfpflanze sind das psychoaktive THC (Tetrahydrocannabinol) sowie das kaum psychoaktive CBD (Cannabidiol). Neben diesen beiden Stoffen enthält die Pflanze jedoch auch noch andere Cannabinoide (85 sind insgesamt derzeit bekannt) sowie über 140 weitere pflanzliche und pharmakologisch wirksame Inhaltsstoffe.
Ähnlich wie bei den Vitaminen ist auch bei den Cannabinoiden das genaue Zusammenspiel mit diesen sekundären Pflanzenstoffe noch kaum erforscht. Es macht jedoch den Anschein, dass eben wie bei den Vitaminen, auch hier der isolierte Wirkstoff sich anders auswirkt als das natürliche Komplettpaket, welches aber dafür wiederum schwieriger einschätzbar ist.
THC und CBD sind aber dennoch wichtig, da sie die beiden wirksamen Stoffe mit der höchsten Konzentration in der Pflanze sind. Während THC vor allem an den schon erwähnten CB1– und CB2-Rezeptoren andockt und dadurch die bekannten Wirkungen wie Glücksgefühle, Entspannung, gesteigerten Appetit aber auch Entzündungshemmung hervorruft, setzt CBD dahingegen beispielsweise am sogenannten 5-HT1A-Rezeptor an und wirkt dadurch Angstlösend (es besitzt einzeln für sich jedoch auch antiinflammatorische, also entzündungshemmende Eigeschaften).
Gibt es auch Nebenwirkungen?
Keine Wirkung ohne Nebenwirkung, das gilt auch für die manchmal als Wundermittel dargestellte Cannabispflanze. Durch die psychaoktive Eigenschaft des THCs besteht zum einen die nicht unbedingt immer therapeutische Nebenwirkung des “High-Seins” (abhängig von Dosis und individueller Pharmakogenetik), was sich beispielsweise in einer Stimmungssteigerung, durch Euphorie oder auch veränderte Sinneswahrnehmung äußern kann. Es kann jedoch auch zu Konzentrationsbeeinträchtigung, Bindehautrötungen oder Mundtrockenheit führen. Zu den schwereren, aber auch selteneren Nebenwirkungen gehören Herzrasen und Blutunterdruck sowie bei entsprechender Vorbelastung eine erhöhte Wahrscheinlichkeit zur Ausprägung von psychotischen Symptomen.
Im direkten Vergleich der physiologischen Gefährlichkeit schneidet es dahingegen ziemlich sicher ab. Der LD50-Wert, also die Dosis die notwendig ist um bei 50% der Probanden eine letale (tödliche) Wirkung zu erzielen, liegt bei etwa 1:20.000… Man würde also das zwanzigtausendfache der wirksamen Menge benötigen um wirklich durch die direkten Folgen des Cannabis umzukommen (das entspricht etwa 680 Kg in 15 Minuten – Quelle: United States Department of Justice, Drug Enforcement Administration).
Als Vergleich: der LD50-Wert von Aspirin liegt bei 1:20 und bei vielen verschreibungspflichtigen Medikamenten bei 1:10.
Für wen könnte es eine Alternative sein?
Das Gesetz benennt schwer und chronisch kranke Patienten als möglich Empfänger von entsprechenden Arzneien aus Cannabis. Auf eine Liste von Indikationen wurde bewusst verzichtet und stattdessen auf das Einschätzungs- und Urteilsvermögen der verschreibenden Ärzte gesetzt. Diesen Umstand haben uns auch die Krankenkassen schriftlich in Bezug auf die Frage der Kostenübernahme bestätigt, dazu aber später im Text mehr.
Es geht bei der Frage, ob man Cannabis als Ergänzung oder Alternative zur bisherigen oder bestehenden Behandlung erhalten kann also weniger darum was man für eine Erkrankung hat, als vielmehr darum ob und inwieweit es zu nach medizinischer Einschätzung zu einer Verbesserung der Lebensqualität des jeweiligen Patienten beitragen kann.
Dabei obliegt es dem Arzt zu entscheiden ob er Cannabis oder ein cannabinoidhaltiges Medikament verordnen möchte. Er oder Sie benötigt dazu im Übrigen keine gesonderte fachliche Qualifizierung oder Zulassung, wodurch also an sich auch der Hausarzt eine entsprechende Verordnung ausstellen kann.
Um Missverständnissen vorzubeugen möchte ich dem folgenden Absatz einen Hinweis vorweg nehmen: Ärzte können seit dem 10. März grundsätzlich Cannabis verordnen. Diese Regelung ersetzt die bis dato ausgeschriebenen Ausnahmegenehmigungen für den Erwerb von medizinischem Cannabis in Apotheken. Es besteht also an sich für jeden die Möglichkeit eine ggf. auch nur begleitende Behandlung mit Cannabis einzugehen. Anders sieht es jedoch bei der Kostenübernahme durch die Krankenkassen aus.
Wer sollte die Finger davon lassen?
Ganz klar junge Menschen deren Gehirn sich noch in der Entwicklung befindet, da hier Cannabis ähnlich wie andere Drogen (Alkohol, Nikotin etc.) bleibende Entwicklungsstörungen verursachen kann. Sollen sehr junge Patienten mit Cannabis behandelt werden, sollte im Vorfeld sehr genau geklärt werden, welche Alternativen es gibt bzw. wie das Nutzen-Risiko-Verhältnis im entsprechenden Einzelfall aussieht. Auch Schwangere sollten eher auf Cannabinoide verzichten.
Wer zu psychologischen Störungen neigt sollte ebenfalls vorsichtig sein und im Zweifelsfall lieber einmal mehr seinen Behandler kontaktieren und Optionen wie Alternativen durchgehen, wie etwa die Gabe von reinem Cannabidiol insofern es ihm bei seinen Problemen helfen könnte.
Schmerzpatienten die aufgrund von Adipositas unter der Überbelastung von Knochen und Gelenken leiden kann an dieser Stelle auch keine uneingeschränkte Einschätzung über die Anwendbarkeit von Cannabis zur Behandlung erteilt werden, da hier die Gefahren für eine Verschlimmerung der Grundproblematik durch den induzierten Appetit nicht ausgeschlossen werden können.
Wer trägt die Kosten?
Die Frage der Kostenerstattung kann man mit einem ganz deutlichen “das ist nicht ganz so einfach” beantworten. Grundsätzlich begrüßen die Krankenversicherer die Therapie mit Cannabis als zusätzliche Möglichkeit für die Patienten, setzen bei der Frage der Kostenübernahme auf Einzelfallentscheidungen. Gemäß der gesetzliche Vorgabe muss bei der Erstverordnung auf Kassenrezept geprüft werden, ob der empfangende Patient die Vorraussetzungen für den Anspruch auf die Versorgung erfüllt.
Diese Kriterien gestalten sich im weitesten Sinne in der nachvollziehbaren und detaillierten Darlegung der Beweggründe zur Verordnung. Für die Krankenkasse muss ersichtlich sein, um welche Erkrankung oder Erkrankungen es sich beim Patienten handelt und in welche Schwere diese vorliegen (da für die Kostenübernahme eine schwerwiegende Erkrankung vorliegen muss, sollten wir an dieser Stelle kurz auf diese Definition eingehen: Eine Erkrankung ist dann schwerwiegend wenn sie entweder lebensbedrohlich ist oder aufgrund der durch sie verursachten Gesundheitsstörungen die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigt). Dies lässt sich zum Beispiel durch einen ausführlichen ärztlichen Bericht, eine Auflistung der bisher eingesetzten Arzneimittel, Krankenhausberichte, Heil- und Hilfsmittelverordnungen – also eine möglichst detaillierte Dokumentation – belegen.
Diese Dokumentation sollte auch Angaben über evtl. bereits angesetzte alternative Arzneimittel enthalten oder Begründen warum bestehende Alternativen keine Verwendung finden können (beispielsweise Allergien gegen Wirkstoffe etc.).
Außerdem sollte der Behandler darlegen inwiefern eine Aussicht auf spürbar positive Veränderungen im Krankheitsverlauf oder schwerwiegende Symptomatiken für möglich hält.
Last but not least gibt es noch einen Formfehler zu vermeiden. Es reicht nicht aus einfach “Cannabis” zu verschrieben, sondern es muss im Detail angegeben werden welches Arzneimittel genau verordnet wird. Bei den Derivaten (also medikamente aus isolierten Wirkstoffen) ist das durch die Handelsnamen der Präparate relativ einfach, bei getrockneten Blüten oder daraus erzeugter Abwandlungen ist es allerdings etwas komplizierter: Die Verordnung muss entweder die genau Sorte (derzeit sind 14 Cannabis-Sorten importierbar) oder den therapeutischen Gehalt der Wirkstoffe enthalten. In jedem Fall sollte aber angegeben werden in welche Form und Häufigkeit die Anwendung beim oder vom Patienten erfolgen soll.
Detaillierte Angaben und Hinweise zur Verordnung gibt die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein in ihrem Informationsblatt.
Wie anwenden?
Eine Frage die immer wieder aufkommt betrifft die Art der Anwenung. Die Annahme, man würde medizinischen Hanf als klassischen Joint (also mit Tabak) rauchen ist natürlich eher falsch. Zum einen werden bei der Verbrennung wirksame Inhaltsstoffe vernichtet, bevor sie sich vom pflanzlichen Material lösen können – man nutzt also nicht das volle Potential aus – und zum anderen entstehen unerwünschte Verbrennungsprodukte (vom sowieso nicht gerade gesunden Tabak-Konsum mal ganz abgesehen).
Für den therapeutischen Einsatz bieten sich daher andere Darreichungsformen an. Zum einen besteht die Möglichkeit sich das pflanzliche Material von der Apotheke in Kapseln zum Schlucken füllen zu lassen.
Ebenfalls kann ein Tee aus der getockneten Pflanze zubereitet werden. Allerdings handelt es sich bei den Cannabinoiden um überwiegend fettlösliche Stoffe, wodurch der Wirkungsgrad in einem Aufguss mit Wasser auch eher etwas eingeschränkt ist. Erschwerend kommt hinzu dass sich die Inhaltsstoffe bei Temperaturen von 160 – 180°C erst richtig lösen – mit kochendem Wasser lassen sich jedoch nur 100°C erreichen.
Eine Alternative kann das Herstellen einer Tinktur auf Öl-Basis sein, ähnlich den CBD-Öl-Produkten. Hier kann einem ebenfalls die Apotheke oder der verschreibende Arzt am besten beraten.
Last but not least und eigentlich sogar die effektivste Methode ist die Inhalation durch einen sogenannten Vaporisierer bzw. Verdampfer. Hierbei wird das pflanzliche Material in die Heizkammer eines Gerätes gegeben, welches das Cannabis auf eine vorher definierte Temperatur erhitzt. Dabei lösen sich die ätherischen Öle und Inhaltsstoffe und gehen in einen Dampf über, der dann durch ein Mundstück eingeatmet werden kann. Im Gegensatz zum Rauchen entstehen bei diesem Verfahren keine Verbrennungsprodukte.
Nicht zu vergessen sind dann aber auch noch die Fertigpräparate auf Basis isolierter Inhaltsstoffe der Cannabispflanze wie etwa Sativex.
Woher bekommen?
Okay, das Rezept zu bekommen ist also vermutlich weniger problematisch, aber woher bekommt man dann das neue Medikament? Die Antwort ist einfach wie erstaunlich – eigentlich in jeder Apotheke. Mit der Neuregelung entfällt auch die Ausnahmegenehmigung für Apotheken, die zuvor nötig gewesen ist um Cannabis erwerben und abgeben zu dürfen. Dadurch darf nun jede Apotheke entsprechende Fertigarzneimittel oder Pflanzenbestandteile bestellen und gegen Vorlage eines entsprechend vollständig ausgefüllten Betäubungsmittelrezeptes abgeben (das Rezept muss dafür neben der Angabe über die zu verwendende Sorte oder den Wirkstoffgehalt auch Angaben zur Art der Darreichung bzw. Verarbeitung sowie zur Dosierung enthalten).
Fazit
Insgesamt wird Cannabis im medizinischen Umfeld als ergänzende Option und zum Teil sogar als Alternativtherapie begrüßt – von Behandlern, Patienten und ebenso den Krankenkassen, auch wenn letztere sich in Frage der Kostenerstattung noch vorsichtig zurückhaltend geben – wir vermuten, dass man etwas Angst vor einer Welle von eher ungerechtfertigten Verordnungen hat.
Auch wenn wir der Meinung sind, dass Cannabis eine gute und oft sogar bessere Alternative zu einigen gängigen Medikationen sein kann (aber wohlgemerkt eben auch kein Wundermittel und die Lösung für alles ist) und damit eigentlich auch als Kassenleistung übernommen werden sollte – gerade wenn man bedenkt, dass teilweise Verfahren ohne jeglichen Wirksamkeitsnachweis ohne Einzelfallprüfung übernommen werden – finden wir es gut, dass durch die Neuregelung zumindest jedem Patienten die Möglichkeit offen steht legal Cannabis und Derivate daraus erhalten zu könne – zur Not eben auch auf eigene Kosten.
Die Krankenkassen selbst zeigen sich jedoch dabei als durchaus offen für diese neue Therapieform, wenn auch man sich noch genauere Erkenntnise zur Wirksamkeit durch die zeitgleich laufenden Begleitstudien erhofft, welche über die nächsten 5 Jahre stattfinden.