Träume, eine lange Reise und ein besonderer Vogel
Eigentlich wollte ich ein Review zu Dreamfall Chapters schreiben, welches letzte Woche nun auch für die PlayStation 4 erschien und somit seinen Weg in unsere Sammlung gefunden hat. Je mehr Zeit ich aber wieder im Dreamfall-Universum verbrachte, desto mehr wurde klar, dass dieses Review nicht nur diesen letzten Teil der Serie behandeln kann, sondern viel mehr eigentlich die ganze Geschichte vorstellen müsste.
Wie eigentlich immer bei Adventure Games ist es schwierig einen Abriss über die Story zu verfassen ohne ungewollt zu viel zu verraten, da ja die Geschichte selbst das Kernelement darstellt. Ich werde mich also im Folgenden eher mit groben Umschreibungen befassen, als im Einzelnen zu sehr ins Detail zu gehen… auch wenn ich zugeben muss, dass ich am liebsten noch sehr viel mehr über die Verbindung der einzelnen Charaktere untereinander, der Bedeutung der Melodienpfade, von Traum und Alptraum sowie über Krähe (ja, eigentlich ganz besonders über Krähe, diesen heimlichen Star der ganzen Serie) geschrieben hätte.
Point & Click in Serie seit 1999
Dreamfall Chapters ist der abschließende Teil der Dreamfall-Trilogie, welche mit “The longest journey” im Jahr 1999 ihren Anfang nahm, in “Dreamfall: The longest Journey” fortgesetzt wurde. Genau hier beginnt schon das Besondere an diesem Spiel: Obwohl zwischen den einzelnen Titeln relativ lange Zeiten vergangen sind und sich die Veröffentlichungen auf insgesamt 17 Jahre verteilen, erschließt sich das ganze Ausmaß der alles verbindenden Geschichte eigentlich erst dann, wenn man auch alle drei Teile gespielt oder zumindest gesehen hat.
Spielerisch sind alle drei Teile im Grunde klassische Point & Click Adventure, welche an einigen wenigen Stellen durch kleine Geschicklichkeits- oder Geschwindkeitsaufgaben ergänzt wurde. Zusammen mit ein paar nicht immer ganz logischen Rätseln ergibt sich daraus ein zeitweise etwas entnervender, aber nicht wirklich zu gemeiner Schwierigkeitsgrad – aber gerade beim ersten Teil kann eine Lösung zur Hand haben den Spielfluss und Spaß deutlich steigern.
Insgesamt ein Multiversum
Das eigentlich komplizierte am Dreamfall-Universum ist aber nicht die Komplexität der Rätsel und Aufgaben, sondern das Universum – oder besser gesagt Multiversum – an sich. Ohne zu viel verraten zu wollen, werde ich versuchen zusammen zu fassen, was dieses Konstrukt um welches sich die ganze Geschichte dreht, eigentlich ausmacht.
Handlungsort der Trilogie sind die Spiegelwelten Arcadia und Stark – zwei Seiten einer Münze, welche unterschiedlicher nicht sein könnten. Stark entspricht mit seiner starken Haftung in Wissenschaft und Technik am ehesten unserer eigenen Realität, während Arcadia ein typisches mit Magie erfülltes mittelalterliches Fantasysetting darstellen könnte. Beide Welten sind untrennbar miteinander verbunden und eben doch nicht eins – ein Zustand welcher als Gleichgewicht bezeichnet wird. Allerdings wissen nur wenige um das Prinzip der Spiegelwelten und die meisten dieses Eingeweihten befinden sich – wie sollte es auch anders sein – nicht in Stark sondern auf Arcadia.
Verbunden sind die beiden Welten durch eine Art Nimbus, also einen Raum zwischen den Welten, der beide beinhaltet, jenseits beider liegt und irgendwie in beiden existiert ohne wirklich da zu sein. Es ist das Reich der Träume, und nur diese können den Weg in diesen Ort jenseits der Zeit finden. Nur sehr selten werden Menschen geboren, die als Träumende die Pfade durch diese scheinbar leere Weite finden und sie tatsächlich durchschreiten können – und genau damit beginnt auch die bekannte Geschichte dieser Trilogie.
Mehr als nur eine Hauptfigur
Während wir in “The longest Journey” die Geschichte der Kunststudentin April Ryan im Jahr 2209 miterleben, die als Träumende ihren Weg nach Arcadia findet, handelt “Dreamfall” von der etwas perspektivlosen Zoë Castillo die eher ungewollt auf die Spur von April gerät, während diese sich in Arcadia dem politischen Widerstand gegen rassistische Invasoren angeschlossen hat.
Auch lernen wir den Arcadier Kian kennen, der zuerst noch auf der Seite der religiös angetriebenen Invasoren steht, aber später ein wichtiger Teil der Rebellion werden wird. Und dann ist da noch die junge Saga, die uns das erste Mal als Baby in “Dreamfall Chapters” begegnet und im Finale der Serie den Anschluss an den Beginn offenbart. Und dann ist da eben auch noch Krähe…
Philosophie
Wovon Dreamfall jedoch auch maßgeblich handelt ist das Vergehen der Zeit. Gerade in den späteren Szenen von Chapters wird sehr deutlich gezeigt, wie unaufhaltbar die Zeit und wir mit ihr Vergehen. Selbst die scheinbar unsterblichen Wesenheiten sind an ein endliches Dasein gebunden. Das Zitat “Die Zeit ist kein Kreis sondern eine Spirale – mit einem Anfang und einem Ende” malt ein plastisches Bild von genau dieser Vergänglichkeit. Ebenfalls immer wieder Thema sind aber eben auch Wiedergeburt und sich wiederholende Muster.
Nimmt man das alles zusammen kommen wir zu der Aussage, das jeder der Charaktere seine eigene Geschichte hat. Zeitweise kreuzen sich die Geschichten, verlaufen parallel, wenden sich wieder ab und gehen ihre Wege. Dabei beinflussen sie sich direkt oder eben auch indirekt gegenseitig – mit jeder getroffenen Entscheidung. Und wenn auch jede Charaktergeschichte irgendwann ein Ende hat, so geht die Geschichte an sich doch immer weiter und wächst mit jedem Detail, dass ein Individuum als Spur in ihr hinterlässt.
Gesellschaftskritik
Neben dieser inneren Philosophie macht Dreamfall allerdings auch noch einige weitere Aussagen, die nicht besser zu unserer heutigen Situation passen könnte: In Arcadia kämpft der Widerstand gegen organisierten Rassismus während Stark das Abbild einer dystopischen von Konzernen beherrschten Zukunft mit totaler Überwachung darstellt. Auch Meinungsfreiheit und blinder Gehorsam werden durch eine investigative Presseveröffentlichung bzw. die Aufdeckung der Deportation von magischen Wesen thematisiert.
Immer wieder stolpert man über solche mal mehr und mal weniger deutlichen, teilweise drastisch direkten Anspielungen – was auch gut so ist. Der Bezug auf die Auswirkung von Rassismus wurde von den Anfängen mit Ausgrenzung und Ablehnung bis hin zur Ghettobildung, Deportation und systematischem Völkermord so schonungslos abgebildet, das man gar nicht anders kann als sich an die vergangenen Gräueltaten der Menschheit zu erinnern. Auch unsere derzeitigen in Entstehung befindlichen Probleme wie den Abbau der Pressefreiheit, zunehmende Überwachung oder Einflussnahme von wirtschaftlichen Interessengruppen auf die Poltik kommen nicht zu kurz.
Übrigens habe ich bisher noch kein Spiel in den Händen gehabt, in denen die Homosexualität einer Hauptfigur so dargestellt wurde, wie es eben auch sein müsste: ganz normal – ohne Drama oder Inszenierung… es ist eben einfach so wie es ist.
Fazit
Die gesamte Dreamfall-Trilogie handelt eigentlich von dem Erzählen von Geschichten. Nicht nur die eine große Geschichte (die auch mit dem Ende von Dreamfall Chapters eigentlich noch gar nicht zuende ist), sondern eben auch oder vordergründig gerade die Geschichten der einzelnen Charaktere denen wir begegnen. Wir haben alle drei Teile selbst spielen können und blicken jetzt nach dem Finale endlich etwas mehr durch das Konstrukt hinter Dreamfall – was aufgrund der Raum-Zeit-Multiversums-Sache nicht ganz einfach, aber irgendwie extrem spannend ist.
Jetzt, am Ende dieser einen Reise angelangt und die ganzen einzelnen Geschichten vor Augen, bildete sich in unseren Köpfen ein Bild von sich überlagernden Kreisen oder besser Ringen, die sich ineinander bewegen und verschränken. Die meisten sind in sich geschlossen, andere eher Spiralen mit Anfang und Ende, aber eines haben alle gemeinsam: Sie spiegeln sich gegenseitig ineinander wieder… und einige wenige kehren immer wieder, wenn auch jedes mal etwas anders.
Dreamfall Chapters ist als aktuellster Teil der Serie für Windows, PlayStation 4und XBOX One erhältlich. Wir würden jedem der neugierig auf eine wirklich tolle Geschichte ist empfehlen, die beiden Vorgänger »The Longest Journey« und »Dreamfall: The Longest Journey« zumindest als Let’s Play zu schauen – man verpasst sonst einfach eine Menge der Magie, die diese Serie ausmacht.
Euer Jens