Wie Musik unsere Wahrnehmung verändern kann…
Manchmal ist es schon wirklich komisch mit den eigenen Gewohnheiten und wie sehr sie doch unseren Alltag prägen können. Nehmen wir mal als Beispiel das Musikhören nebenbei: Eigentlich jeder macht es – die einen laustark, viele eher dezent im Hintergrund und andere wiederum ganz für sich mit Kopfhörern. Zu den Letzteren kann man auch mich zählen: Bin ich alleine mit dem Bus oder Rad unterwegs, konzentriert am Arbeiten oder habe die Bude mal für mich sind Kopfhörer und eine Auswahl meiner Lieblingsmusik eigentlich immer am Start.
Was dieser Soundtrack meines Alltags aber eigentlich für meine eigene Wahrnehmung bedeutet habe ich erst so richtig bemerkt als ich nun eine ganze Weile ohne die alles begleitende Musik auskommen musste, da die Kopfhörer kaputt waren und sich irgendwie lange keine Gelegenheit ergeben hat neue zu besorgen.
Gestern Abend bin ich beim Aufräumen allerdings über ein ältere Paar gestolpert… naja, eigentlich hat es eine unserer Katzen irgendwo ausgegraben als ich parallel dazu das von den Fellnasen induzierte Chaos beseitigen wollte. Nach einem kurzen Funktionstest am Abend zuvor konnte ich also heute früh dann wieder mit meinem ganz persönlichen Sound auf den Ohren in den Bus steigen und mich auf den Weg machen.
Vorab muss ich vielleicht kurz sagen, das es wirklich mal wieder bestes Münster-Wetter war… also grauer Himmel, Nieselregen und dazu dann noch ein durch eben diese Witterung bedingter voller Bus – also eher so ein *irks* als Start in den Tag.
Also erst mal einen gemütlichen Stehplatz suchen. Irgendwo zwischen quietschbunten Schulranzen, in Mitschriften vertieften Studenten und noch halb schlafenden Pendlern bin ich dann auch fündig geworden bzw. konnte ich mich hinquetschen. In den letzten Wochen habe ich mich durch dieses sich ständig wiederholende Prozedere fast schon zu einem richtigen ÖPNV-Muffel entwickelt – aber heute war etwas anders…
Meine Musik war wieder dabei
… und das hat irgendwie alles verändert. Klar, ich höre nicht das erste mal im Bus Musik und es war auch kein neues krass-genial-anderes Album was lief, aber irgendwie ist mir an diesem Morgen zum ersten mal aufgefallen wie sehr mich meine Musik beeinflussen kann – oder besser gesagt: Wie sehr sich meine Wahrnehmung verändert wenn mein eigener Soundtrack dazu läuft.
Münster, Regen, voller Bus, schreiendes Baby, zankende Schüler – doch was ich höre ist ein Album, das bei mir im letzten Sommer eigentlich ständig zu hören war. Ich schaue aus dem Fenster des sich langsam durch den Stadtverkehr quälenden Fahrzeugs.
Beim Titelsprung meiner Playlist begrüßt mich eine ganz besondere Akkordfolge auf dem Piano und die Worte »Es ist ein unglaublich schöner Tag…« lassen mich in meine eigene Gedankenwelt finden. Wie automatisch stelle ich die Lautstärke auf meinem Smartphone soweit hoch, das die Umgebungsgeräusche vollständig verschwinden – der Blick aus dem fahrenden Bus wird schon fast zu einem kleinen Film.
Track: CRO – Bye Bye (Official MTV Unplugged Version)
Ich beobachte die vorbeiziehenden Menschen, die wie ich gerade in ihren Tag starten. Bei jedem neuen Gesicht flammen kurze Gedanken auf: Woher? Wohin? Was geht in dem Kopf gerade vor?
Der Bus hält, es wird aus- und eingestiegen, ein Sitzplatz wird neben mir frei, mein Soundtrack singt gerade passenderweise »…und er muss lange noch nicht raus«. Als ich nun also halbwegs bequem sitze passiert es: Mir fällt diese schon angesprochene Andersartigkeit auf. Obwohl es eigentlich beste schlechte Laune Witterung ist, habe ich das Gefühl trotz Allwetter-Jacke gerade mitten im schönsten Hochsommer zu sein. Meine Laune bessert sich von Strophe zu Strophe.
»Alles beginnt sich zu dreh’n…« – ein neuer Track beginnt, die Stimmung weiterhin positiv, aber die Tonalität ändert sich ein wenig, es wird etwas nachdenklicher.
Obwohl ich heute eigentlich gar keinen Bock hatte das Haus überhaupt zu verlassen, kann ich mich nicht gegen die Gedanken wehren, die sich wie von alleine auftun: Wie schön ist die Stadt doch eigentlich und wie wird es wohl werden, wenn der neue Bahnhof keine Baustelle mehr sein wird sondern ein belebter Ort ist an dem Menschen aufeinander treffen?
Sinnverknüpfungen
Woran liegt es aber nun, dass meine Musik die ich höre so einen großen Einfluss auf meine Gedanken haben kann und somit regelrecht meine Wahrnehmung des Augenblicks verändert? Sicher, eine Menge macht da auch die Art der Musik an sich aus, was aber wohl viel mehr zum Tragen kommt ist das, was wir mit einem Lied verbinden.
Das Album wa smich heute Morgen begleitet hat, war sozusagen der Sound eines tollen Sommers (und so ganz nebenbei auch noch mit anderen schönen Momenten verbunden). Meine Assoziation bei diesen Liedern – wohlgemerkt nicht allen, aber eben einigen Lieblingsliedern – ist warmes Sonnenlicht, ein kaltes Bier auf dem Balkon zusammen trinken, mit dem Rad unterwegs durch die Felder sein…achja, und richtig guter Sex
Als ich dann heute diese Zusammenstellung von emotionsgeladenen Stücken hörte, obwohl das was meine anderen Sinne wahrnahmen eigentlich so ziemlich das Gegenteil aussagten, kamen diese Erinnerungen quasi gleichzeitig und parallel zurück in mein Kopfkino. Trotz Nieselregen auf der Haut, waren meine Gedanken irgendwie viel näher an warmer Sommersonne als beim aktuellen Aprilwetter.
Hatte ich durch meine Eigenart, Lieder die mir besonders gefallen am liebsten non-stop auf und ab zu hören, eine Verknüpfung zu eben diesem schönen Sommer geschaffen, in welchem dieses Album mich quasi überall hin begleitete? Da solche Sinnverknüpfungen an sich ja nix neues sind und der Mensch bekanntermaßen ein ziemliches Gewohnheitstier ist, könnte das zumindest gut möglich sein. Immerhin kann man sich durch Musik ja auch bewusst in einen richtigen »Flow« bringen (deshalb arbeite ich auch immer besonders produktiv wenn die passende Metal-Mucke läuft :P).
Nur was für Vollblutmusiker?
Wenn ich einige der Zeilen weiter oben im Text gerade selbst noch mal so überfliege fällt mir auf, das man meinen könnte, ich wäre vielleicht selbst sehr eng mit der Musik an sich verbunden… naja, also Musik hören kann ich richtig gut – das war es dann aber auch schon. Ich kann weder ein Instrument spielen, noch bin ich ein guter (oder überhaupt ein) Sänger.
Aber konsumieren, also hören, kann ich Musik ziemlich gut. Am liebsten intensiv über Kopfhörer und dann auch gerne so laut, als würde ich im Konzert direkt vor der Bühne stehen.
Ich habe dabei keinen besonderen »Geschmack«, nur melodisch muss es sein und zu meiner Stimmung passen – zumindest dachte ich letzteres bis jetzt immer. Aber wie sich herausgestellt hat, kann ja mein ganz persönlicher Soundtrack auch meine Stimmung beeinflussen. Warum also das nicht einfach mal ganz bewusst auch nutzen?
Im Grunde kennt wahrscheinlich jeder das was ich hier beschrieben selbst – vielleicht wie bei mir eben mehr oder weniger unbewusst. Ich vermute auch, das so ziemlich jeder den ich kenne wohl so seine ganz eigenen imaginäre Playlist mit Songs hat, die ihn oder sie schon eine ganze Weile durch sein oder ihr Leben begleiten.
Musik gehört zum Menschsein wohl einfach irgendwie dazu und begleitet uns durch eigentlich alle Epochen. Eigentlich ist es da doch schade, wenn wir diesen fast schon elementaren Bestandteil unseres Daseins auf die passive Berieselung aus dem Radio beschränken (von den schlechten Witzen der meisten Moderatoren mal ganz zu schweigen).
Ein Track für alle Fälle
Wenn ich also weis, meine Musik ist durch und für mich auf bestimmte Stimmungen geprägt, als Nebeneffekt der Gewöhnung an die eigenen Lieblings-Songs eben, warum dann nicht weniger schöne Situationen durch diese Tracks entschärfen?
Überstunden schieben ist mies – Überstunden untermalt mit dem laut laufenden Album, bei dem einem schon nach den ersten paar Takten regelrecht das Herz aufgeht, können sogar ganz nett sein… kleine Tanzeinlagen auf dem Weg zum Kaffee holen eingeschlossen (kommt, gebt es zu, das hat jeder schon mal gemacht ).
In diesen »Irgendwie trotzdem das Beste daraus machen«-Momenten ist für mich zumindest meine Musik das, was mir hilft optimistisch zu bleiben. Vielleicht muss auch ich diesen positiven Effekt der melodischen Alltagsbegleitung aber auch einfach noch viel öfters bewusst nutzen.
Musik macht das Leben sicherlich nicht direkt einfacher… aber eine ganze Ecke schöner Und wenn mit dem passenden Soundtrack eine langweilige Busfahrt plötzlich zum semi-philosophischen Kopfkino wird – na, warum dann nicht einfach zurücklehnen und genießen?
Was in meinem Fall eine Busfahrt durch das nass-kalte Münster war, könnte exemplarisch für viele andere Situationen stehen – wie sieht das denn bei euch aus? In welchen Momenten greift ihr schon automatisch zu eurem eigenen Notfall-Track oder welche Lieder sind für euch besonders positiv aufgeladen?
Euer Jens
PS: Ganz wichtig – Vergesst nicht eure Lieblingslieder immer mal wieder frisch mit positiver Energie aufzuladen