von Masken und Kartenhäusern
Liebe Leserinnen und Leser, liebe Schauspielerinnen und Schauspieler,
die Show der hundert Gesichter ist eröffnet. Es darf gelacht werden was das Zeug hält, denn hier wird gute Mine zum bösen Spiel gemacht. Hier darfst du alles sein, nur nicht du selbst! Wenn dich hier jemand fragt wie es dir geht, dann antwortest du absolut unehrlich mit “Gut” oder “Ganz in Ordnung” ein “schlecht” so möchte ich meinen, will doch keiner hören!
Also auf, auf schnell noch mal die eigene Maskerade auf Hochglanz bringen und dann kann das sich täglich wiederholende Bühnenprogramm auch schon beginnen.
In diesem Beitrag geht es um unsere Masken, die wir oftmals tragen. Manch einer bekommt diese Masken aufgezwungen ein Anderer traut sich nicht diese abzusetzen. Warum wir nie wirklich ehrlich mit uns und unserem Umfeld sind und was passiert wenn man seinen Schutz einfach mal aufgibt, sind Fragen auf die ich in diesem Artikel eingehen werde. Einfach mal sagen wie es einem wirklich geht ist gar nicht mal so einfach. Wenn man chronisch krank ist wird man zwangsläufig perfekt darin, sich anders zu geben als man sich fühlt – das hat viele Gründe. Ich habe in letzter Zeit oft mitbekommen, dass so manch eine Patientin oder ein Patient an genau diesem einen Thema zu Grunde geht. Darf ich meine Emotionen offen zeigen? Finden wir es heraus!
Wir alle spielen unsere Rollen – und warum?
Sind wir doch mal ehrlich, schon in unseren frühen Kindheit werden wir dahingehend erzogen, dass es sich nicht schickt, seine Probleme nach außen zu tragen. In den wenigsten Familien wird offen über die Dinge geredet die das zusammenleben belasten. Eltern wollen ja in der Regel immer nur das Beste fürs Kind und würden freiwillig nie vor ihren Schützlingen so etwas wie “Schwäche” zeigen. Eltern sind doch stark und sollten nicht vor ihren Kindern weinen. Auch sollten sich Kinder keine Sorgen um ihre Eltern machen müssen – so oder ähnlich ist zumindest die verbreitete Meinung. Ein fataler Fehler, wie ich finde, werden doch so Generation für Generation Menschen darauf konditioniert nicht offen zu zeigen wie es einem wirklich geht.
Da leben wir mitten im digitalen Zeitalter, teilen auch noch den letzten Mist mit der Öffentlichkeit und trauen uns gleichzeitig nicht einfach mal zu sagen, wenn es uns nicht gut geht. Liebe Erziehungsberechtigten, wenn ihr wollt, dass sich eure Schützlinge euch anvertrauen, euch ehrlich zeigen wie es ihnen geht und mit Problemen zu euch kommen, dann solltet ihr sie auch dementsprechend erziehen und euch selbst so verhalten. Alles andere ist irgendwie geheuchelt und oft der Grund, dass Kinder sich eben nicht öffnen. So hat man es auch als Erwachsener später sehr schwer.
Der Zwiespalt im Umgang mit der eigenen Erkrankung
Wer dauerhaft krank oder gesundheitlich eingeschränkt ist befindet sich quasi immer im Kampf mit sich selbst. Du möchtest auf der einen Seite Niemandem zur Last fallen, nicht bedauert werden, nicht aufs krank sein reduziert werden, keine Umstände machen und bloß so “normal” wirken wie möglich. Auf der anderen Seite möchtest du Verständnis für dich und deine Situation, du benötigst vielleicht sogar Unterstützung und Hilfe. Du willst ernst genommen werden, so dass sich dein Umfeld auch deiner Erkrankung entsprechend verhält.
Wenn man dies jetzt so schwarz auf weiß liest, dann wirkt es tatsächlich leicht schizophren obwohl diese parallelen Gedankengänge ja absolut nachvollziehbar sind. Du kannst dich nicht einfach für einen der beiden Denkzweige entscheiden und den anderen ignorieren, ohne dass dies schwere Konsequenzen zur Folge hat.
Und dann stürzt das Kartenhaus ein
Wer mich kennt weiß ja, dass ich eher so der Typ für Extreme bin und eher die schweren als die leichten Wege gehe. Ich kann aus eigener Erfahrungen davon sprechen, dass es wirklich absolut keinen Sinn macht sich für eine der oben beschriebenen Gedankengänge zu entscheiden und sich ausschließlich diesem hinzugeben. Der Schuss geht unweigerlich nach hinten los.
Wenn du dich komplett deiner Erkrankung hingibst, dann wirst du depressiv, einsam und sehr sehr unglücklich. Wenn du so tust als wär alles in Ordnung, dann lebst du solange über deine emotionalen und körperlichen Reserven bis es “Peng” macht und du entweder mit stark gesundheitlich Problemen zu kämpfen hast oder einen Nervenzusammenbruch bekommst.
Da der Mensch ja ein “Gewohnheitstier” ist musste ich leider durch beide Extreme erfahren, dass das Umfeld es nicht verkraftet, wenn man plötzlich wieder anders denkt. Nach einer langen Phase des “Kranken Lebens” fällt es vielen nahe stehenden Menschen schwer ein z.B. neues Selbstbewusstsein zu akzeptieren, oft schießt man dann auch erstmal über die Strenge und kommt allzu oft an die eigenen Grenzen – und auch an die der Anderen. Im Umkehrschluss wenden sich viele Menschen ab oder sind überfordert, wenn sie plötzlich die volle Packung “Ich bin krank” abbekommen, nachdem man jahrelang gute Mine zum bösen Spiel gemacht hat.
Als hätte man nicht schon genug im Kopf!
Darf ich Schwäche zeigen?
Ja, also diese Frage kann ich nur mit einem ganz klaren Ja beantworten. Allerdings begrenze ich das Ja auf passende Situationen und Momente. Bis auf ganz wenige Ausnahmen ist es so, dass die meisten Angehörigen viel mehr involviert werden wollen um sich nicht so hilflos zu fühlen. Patienten wollen immer ihr Umfeld schonen und das Umfeld möchte meist mit einbezogen werden. Du kannst nur Verständnis bekommen wenn du offen und ehrlich sagst wie es dir geht. Du kannst nur mit Hilfe rechnen wenn dein Gegenüber versteht, dass du diese Hilfe benötigst.
Ein Drahtseilakt
Es ist und bleibt ein dauerndes abwiegen und doch bekommt man irgendwann Routine. Ich denke so vollständig alles gibt man so oder so nie Preis, aber das ist auch unabhängig von einer Erkrankung nicht anders. Man muss jedes mal erneut überlegen, was habe ich davon meinem Gegenüber zu erzählen wie es mir geht – und genau da ist im Prinzip auch der einzige Punkt an dem man sinnvoll abwägen sollte, wie viel man von sich offenbart.
Wenn mir ein gesunder Mensch gerade sein Herz öffnet (auch wenn dies ein Kranker tut), dann ist es einfach unangebracht sich mit seinem eigenen Kram dazwischen zu drängen. Ernsthafte Themen sollten auch nie zwischen Tür und Angel besprochen werden, da gerade gesundheitliche Probleme in ihrer Komplexität nicht in fünf Minuten abgearbeitet sind.
Es gibt nun mal auch Menschen die sind einfach kacke
Sowohl im familiären Umfeld wie auch in der Schule, Uni oder im Job sowie auch in der Freizeit und bei Hobbys, ist man immer wieder mit Menschen konfrontiert, denen man die Pest an den Hals wünscht weil sie durch fehlendes Einfühlungsvermögen und Verständnis bei uns nur für Wut und Trauer sorgen. Da kann man nichts machen.
Diese Menschen wissen alles besser, würden alles anders machen und argumentieren vorwiegend auf einer Vorwurfsebene. Da muss man sich ein dickes Fell anschaffen und ich manchen Fällen auch einfach den Kontakt oder bestimmte Gespräche meiden, sofern es denn eben geht. Diese Menschen kann man nicht ändern, glaubt mir.
Und ich?
Mittlerweile habe ich eigentlich jeden aus meinem Leben verbannt, der mit meiner Erkrankung nicht zurecht kommt. Ich habe gelernt, dass ich den Menschen die mir besonders nahe stehen, immer sagen kann wie es mir geht. Ich habe früher immer gedacht, ich brauch nicht über Ängste reden die mir keiner nehmen kann – und da lag ich absolut falsch!
Der ganze Mist muss auch mal raus, sonst geht man daran kaputt. Menschen denen du wichtig bist, können und wollen das tragen und dir zur Seite stehen. Ich habe auch gemerkt, dass es manchmal nichts bringt immer und immer wieder zu versuchen sich zu erklären, wenn es mein Gegenüber einfach nicht verstehen will. Auch als Blogger musste ich lernen zu schreiben, wenn es mir nicht gut geht. Das gehört eben mit dazu! Die Kunst ist es, da wieder raus zu kommen oder sich nicht dauerhaft runterziehen zu lassen.
Fazit
In den meisten Fällen ist es wirklich einfach nur Unwissenheit oder Hilflosigkeit und eine daraus resultierende Überforderung, die zu zwischenmenschlichen Problemen führt. Jedoch – und da bin ich mittlerweile ganz stumpf – achte ich lieber auf meine Befindlichkeiten, als auf die meines Gegenübers wenn es um meine eigene Erkrankung geht! Frei nach dem Motto “wenn ihr euch schon unbehaglich fühlt, dann fragt doch mal mich der tatsächlich betroffen ist”.
Was ich sagen will ist Folgendes: Wenn euch ein Mensch wichtig ist, dann öffnet euch und zeigt wenn es euch nicht gut geht! Sollte es mal Unverständnis oder Ärger geben, dann fragt euch selbst ob ihr eurem Gegenüber schon mal richtig erklärt habt, was euch fehlt und wie es einem mit Schmerzen, Juckreiz, Übelkeit, Durchfall, Dauermüdigkeit etc. geht.
Wenn ihr auf beratungsresistente Menschen trefft, dann haltet euch nicht an deren Unverständnis fest. Ein kranker Mensch darf sich nie für seine Erkrankung schämen und muss sich auf keinen Fall rechtfertigen. Für jemanden der sich um einen kranken Menschen kümmert gilt genau das Gleiche. Die andern haben keine Ahnung wie es ist mit den Sorgen und Ängsten zu leben, die einen plagen, wenn man sich um einen geliebten Menschen kümmert.
Also Kopf hoch und ruhig mal die Maske in der imaginären Schublade liegen lassen
Euer Stephan