Das “Casting” zum passenden Mediziner?
Wer eine Erkältung hat oder wegen Bluthochdruck in Behandlung ist, der geht in der Regel zu seinem Hausarzt, lässt seine Werte überwachen, Rezepte ausstellen oder bekommt ganz simpel eine Krankschreibung für den Arbeitgeber. So sieht das zumindest für den Großteil unserer Bevölkerung aus – also all jenen Mitmenschen, welche neben ihrem (vielleicht auch wechselndem) Allgemeinmediziner im Leben vielleicht mit einer handvoll Fachärzten Bekanntschaft machen.
Der Ist-Zustand
Was aber, wenn die eigene Erkrankung so ungewöhnlich gelagert, wenig bekannt oder schlicht selten ist, dass der eigene Hausarzt damit unter Umständen überfordert ist oder einfach nicht die nötige Zeit für einen solchen spezielleren Fall aufbringen kann? Unter diesen Grundvoraussetzungen vollzieht die Laufbahn eines Patienten nicht selten mehrere Stationen von Ungewissheit bei scheinbar ewigen Wartezeiten zwischen diagnostischem Verfahren (wie etwa radiologischen bildgebenden Untersuchungen) und Facharztterminen – sowie anschließender Überweisungen zu einem Kollegen in einem anderen Fachbereich (und der Vorgang wiederholt sich…).
Gefährliche Kompromisse
Oftmals führt der Weg dann in die Hände eines mit sanfter Medizin und natürlichen Methoden überzeugenden Therapeuten verschiedenster Ausprägung oder eben zum typisch deutschen Heilpraktiker. Die Homöopathie, welche vom European Academies’ Science Advisory Council (dem Zusammenschluss von nationalen Wissenschaftsakademien der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union) erst kürzlich als nicht wirksames Verfahren in einem offiziellen Statement deklariert wurde, belegt bei dieser sogenannten Alternativmedizin einen der Top-Plätze.
Aber auch Vertreter der Ärzteschaft bedienen sich einiger dieser eher Zugewinn orientierten und zum Teil den Pseudowisschenschaften zu zuzordnenden Anwendungen zur Aufbesserung ihrer Praxisbilanz. Meistens werden diese im Rahmen der “individuellen Gesundheitsleistung” (oder kurz: IGeL) angeboten und entsprechend als private Zusatzleistung separat mit dem Patienten abgerechnet.
Mit Masterplan zum Netzwerk
Gute und weniger qualifizierte Mediziner auseinanderhalten und dann auch noch die passenden für die eigene, meistens nicht ganz unkomplizierte Gesundheitssituation zu finden, ist also nicht nur nicht immer, sondern in der Tat meistens nicht ganz einfach. Bei seltenen Erkrankungen oder komplexeren Zusammenhängen, sollte man sich gleich zu Beginn von einer Hoffnung auf einen koordinierenden Allgemeinmediziner, der sich für einen um alles kümmert, verabschieden. Es gilt vielmehr sich ein eigenes Kompetenz-Netzwerk zu schaffen und Wege zu finden, Wartezeiten zu minimieren. Ein mit der Thematik vertraut gemachter Hausarzt ist jedoch in jedem Fall sinnvoll, da dieser im späteren Verlauf eine unkomplizierte Anlaufstelle für Blutwertkontrollen oder die Verschreibung der meist notwendigen Dauermedikation sein kann. Auch die zusätzliche Aktenhaltung der beim Hausarzt zusammenlaufenden Befunde und Arztbriefe ist eine sinnvolle ergänzende Absicherung.
Erstes Gebot für einen aufgeklärten und organisierten Patienten ist jedoch die eigene “Buchhaltung” – also das Sammeln und Aufbewahren von besagten Befunden und Briefen, welche man sich bei jedem Schriftverkehr auch in Kopie für die eigenen Unterlagen zusenden oder mitgeben lassen sollte. Hilfreich kann es auch sein, die Unterlagen zu digitalisieren (oder sich bereits entsprechend zukommen zu lassen) um Sie im Bedarfsfall einfacher an einen neuen Arzt oder bei Erkundigungen weitergeben zu können.
Uniklinik als medizinischer Hub
Wer bereits eine Grunderkrankung hat, mit welcher er sich in fachärztlicher Behandlung befindet, für den könnte es sich anbieten bei Unsicherheiten oder anstehenden umfangreicheren Untersuchungen eine Überweisung in die Ambulanz einer Uniklinik überweisen zu lassen. Zum Einen haben Universitätskliniken in der Regel mehr diagnostische Verfahren zur Verfügung als etwa ein niedergelassener Radiologe und zum Anderen sind die Wartezeiten auf einen Termin meist deutlich kürzer – mitunter können einfachere Verfahren wie Ultraschall, Röntgen oder auch Computertomographie (CT) an einem Tag und oft sogar spontan durchgeführt werden.
Ein weiterer Vorteil der universitätsklinischen Versorgung ist die dort am ehesten gegebene interdisziplinäre Betrachtung von Fällen, da hier Fachärzte aus verschiedenen Bereichen für kurzfristige Konsilanfragen (also das hinzuziehen einer ärztlichen Zweitmeinung aus einem anderen Fachbereich) zur Verfügung stehen und dadurch Wartezeiten auf unterschiedliche Facharzttermine entfallen.
Bei wem der Verdacht auf eine angeborene bzw. genetisch begründete Erkrankung im Raum steht, für den kann zudem eine humangenetische Untersuchung bei einem Humangenetiker sinnvoll sein, um letzte Zweifel auszuschließen oder eine Diagnose zu konkretisieren.
Netzwerk-Kaskaden
Auf diese Weise kann ein kaskadenartiges Netzwerk von Medizinern und Anlaufstellen in verschiedenen Fachbereichen entstehen – eben je nachdem wie die eigene Gesundheitssituation sich darstellt. Während an der Basis der Hausarzt steht, bei welchem Unterlagen zusammenlaufen und die durchgängige Versorgung mit den wichtigsten Medikamenten sichergestellt wird, stehen in der Mitte die unterschiedlichen niedergelassenen Fachärzte, welche entweder einen bestimmten Bereich selbst betreuen oder als Zugang zur klinischen Behandlung in einem Universitätsklinikum dienen. Die Uni- oder spezifische Fachklinik wiederum ist gerade bei seltenen oder schwerwiegenden Diagnosen für die Behandlung und Beobachtung dieser Erkrankungen geeignet. Routine-Untersuchungen wie Blutbild oder gängige Laborwerte können dabei über den Hausarzt bestimmt und an die entsprechenden Fachärzte und/oder Kliniken zur ständigen Überwachung in Kopie versendet werden (oder werden von einem selbst als Patient entsprechend weitergeleitet).
Es kann übrigens auch sehr hilfreich sein, sich eine feste Apotheke zur Abdeckung des eigenen Bedarfs zu suchen und dort mit dem Personal über die eigene Situation zu sprechen. So lässt sich etwa durch kleine Absprachen sicherstellen, dass von einem häufig benötigte Präparate in der Regel vorrätig sind oder kurzfristig besorgt werden können.
Und wenn ich noch ganz am Anfang stehe?
Auch wer noch in der Anfangszeit einer unklaren Diagnose steht, kann durch gute Vorbereitung und Organisation dazu beitragen, die Zeit der eigenen Unsicherheit möglichst zu minimieren. Wenn ein oder mehrere Verdachtsfälle im Raum stehen, macht es Sinn den eigenen Fall bei einem entsprechenden Facharzt des Gebietes vorzulegen. Statt allerdings einfach einen Termin zu machen und unvorbereitet dort sein Anliegen vorzutragen, sollte man stattdessen geplant vorgehen und dem Mediziner dadurch die Gelegenheit geben sich ebenfalls auf den Termin vorzubereiten.
Wenn man die bis dato angefallenen Befunde und Arztbriefe bereits aufbewahrt und vielleicht sogar in digitaler Form vorliegen hat, ist dies für das weitere Vorgehen ein ganz klarer Vorteil. Zusammen mit einem aktuellen Befundbild (also etwa großes Blutbild inkl. Subklassenbestimmung) lässt sich mit den gesammelten Unterlagen ein umfassendes Infopaket für den evtl. zukünftigen Behandler erstellen, welches man im Vorfeld via eMail an den entsprechenden Arzt versenden kann. Eine Erklärung der eigenen Situation sowie Vermutungen und Einschätzungen von anderen Medizinern sollten ebenfalls jetzt schon angebracht werden.
Seid nicht entmutigt, wenn ihr auf diese Art der Kontaktaufnahme die eine oder andere Absage erhalten werdet. Durch diese umfangreiche Vorinformation suchen wir nicht nur nach einem passenden Ansprechpartner für das gesundheitliche Problem, sondern wir geben auch den Medizinern die Chance, einzuschätzen ob sie einem Patienten überhaupt behilflich sein können – das erspart beiden Seiten im Zweifelsfall überflüssigen Zeitaufwand und schont die Nerven.
Ebenfalls ein wichtiger Punkt ist es, sich nicht zu sehr an einem ersten Verdacht fest zu beissen. Wer mehr als eine Baustelle hat, bei dem ist es gut möglich, dass es nicht nur eine Ursache für die Zustände gibt, sondern verschiedene Symptome auch unterschiedliche Gründe haben. So wie man auch Flöhe und Läuse gleichzeitig haben kann, so ist es auch möglich beispielsweise (und wirklich nur als Beispiel) neben einer durchgemachten EBV-Infektion auch einen Immundefekt zu haben; würde man sich nun ausschließlich auf den Virus als Verursache konzentrieren, entgeht einem unter Umständen der vermutlich gefährlichere Defekt bzw. man vergeudet Zeit, die eigentliche Ursache zu finden.
Aber wo finde ich die passenden Ärzte?
Fachärzte und Kliniken sind meistens recht gut miteinander vernetzt. Wer unsicher ist kann durch einen Anruf in der nächsten Uniklinik oder bei der eigenen Krankenkasse erfragen, wo der nächste Facharzt in einem bestimmten Bereich zu finden ist. Inwiefern diese Mediziner auch für die eigene Erkrankung der richtige Ansprechpartner sind lässt sich allerdings nur durch Erfahrung herausfinden – die eigene oder die von anderen Mitpatienten.
In vielen moderierten und seriös geführten Online-Foren und -Gruppen findet ein reger Austausch zu verschiedensten Aspekten von Erkrankungen und dem Umgang mit diesen Statt – dazu gehört auch der Austausch über besonders geeignete oder auch interessierte Mediziner. Man darf auch nicht vergessen, dass es nicht unbedingt schlecht sein muss, ein Arzt nicht direkt ein Spezialist mit der eigenen Erkrankung ist. Ein engagierter Mediziner der bereit ist sich zusammen mit seinem Patienten in die Materie einzuarbeiten kann genauso wertvoll sein, wie ein Veteran in seinem Fachbereich. Wichtig ist dann nur, dass im Zweifelsfall früh genug an einen erfahrenen Kollegen verwiesen wird.
Fazit
Für eine breitere Abdeckung und stabilere Versorgung von Patienten mit seltenen oder komplexen Erkrankung gilt es nicht nur einzelne Standorte zu priorisieren und damit zu Kompetenzzentren zu machen, sondern eben auch anderen Medizinern und Kliniken die Möglichkeit zu geben sich mit ihren Patienten gemeinsam in einem Spezialgebiet zu professionalisieren. Das bedeutet jedoch Geduld und Verständnis von beiden Seiten: Ärzten und Patienten – aber nur so kann es auf Dauer funktionieren.
Euer Jens