Mehrfachbelastung – wenn 24 Stunden einfach nicht reichen
Bis zum Zusammenbruch und noch viel weiter…
“Stephan, du achtest aber auch auf dich oder?”- “Stephan, du darfst dich aber nicht vergessen!” – “Stephan, so kann das aber nicht ewig weiter gehen.” – Diese und viele andere Dinge darf ich mir immer wieder anhören. Was an sich ja nur gut gemeint ist, gerade weil ich ja weiß wer mir so was sagt.
Allerdings ist das nun mal alles andere als einfach und eben nicht immer so reibungslos umzusetzten. Warum das so ist und was es für Schwierigkeiten mit sich bringt, wenn man gleichzeitig pflegender Angehöriger ist, einem stressigen Beruf nach geht und einen Haushalt zu führen hat obwohl man eigentlich selbst krank ist, darum soll es in diesem Beitrag gehen. Warum ich mich dann nebenbei noch engagiere und nicht einfach mal auf dem Sofa bleibe? Lest selbst!
Kurz zu mir…
Die meisten die den Beitrag jetzt lesen kennen mich ja irgendwie und für alle anderen: Ich bin Stephan, 29 Jahre alt und gesundheitlich ziemlich beschissen dran. Ich bin mit meinem Mann, dem Jens, verheiratet und kümmere mich um meine blinde Mama, die seit drei Jahren in unserem Haushalt wohnt. Ich arbeite selbständig mit eigener Redaktion in Zusammenarbeit mit meinem Schatz und nebenbei versuche ich, so gut es geht, anderen Patienten in schwierigen Situationen zu helfen.
Ach ja, mal so ganz nebenbei: Auch ich habe Interessen und Hobbys und möchte am Ende des Tages auch noch was von meiner Ehe gehabt haben. Wenn man das so alles liest kommt man schnell zu Frage wie ich das alles überhaupt unter einen Hut bekomme.
Das klappt in den seltensten Fällen
Es gibt nun mal Prioritäten die man setzten muss und dabei bleibt dann zwangsläufig irgendwas oder irgendwer auf der Strecke. Da man niemanden auf die Füße treten will und bestimmte Sachen betreffend der medizinischen Versorgung meiner Mutter einfach vor gehen, bin ich es dann, der in der Regel das Nachsehen hat. Auch hat mein Mann phasenweise beruflich sehr viel außer Haus zu tun und da ist einfach nichts verschiebbar, denn ohne Geld können auch wir nicht leben.
Schlimm wird’s wenn ich dann meine eigene Gesundheit zu lange hinten anstelle und dauerhaft über meine Grenzen hinaus agiere. Denn auf Freizeit und Freunde zu verzichten ist eines, sich selbst zu vergessen steht auf einem ganz anderen Blatt – und da kommen wir dann auch schon zum eigentlichen Punkt.
Wo sind die Grenzen ?
Ganz klar, wenn mein Körper streikt dann ist es vorbei! Ich bin es ja nun mal gewöhnt einen stressigen Tag auch unter Schmerzen, Fieber und Dauermüdigkeit zu meistern. Das gehört bis zu einem Gewissen Punkt auch einfach zu meinem Leben mit dazu. Der Mensch ist ja ein Gewohnheitstier und ihr glaubt gar nicht womit man sich mit der Zeit einfach abfindet. Aber auch bei mir ist irgendwann Schluss. Menschen wie ich, müsst ihr wissen, haben keine Energiereserven. Nein, wir müssen immer mit dem auskommen, was wir grade irgendwie aufbringen können.
Wenn aber ein so reflektierter Mensch wie ich nicht merkt‚ wenn er auf einen körperlichen Zusammenbruch hinsteuert, dann kann man nur Hoffen, dass irgendwer vorher einfach mal die Bremsleine zieht und mich zwingt runter zu schalten.
„Kümmer dich nicht immer um andere“
Verdammte Axt, wenn es aber doch das Einzige ist was ich selbst entscheide zu tun und nicht gezwungener Maßen tun muss, dann lasst mich doch auch einfach machen! Was ich grade anspreche ist das Thema anderen zu Helfen obwohl ich genug um die Ohren habe.
Mir tut das gut, Mensch. Ich kann meinen Kram mal vergessen und vor allem meist auch produktive Direkthilfe leisten. Habt ihr schon mal dran gedacht, dass der Austausch auch meiner Seele gut tut? Mal davon abgesehen ist dieses „anderen Helfen“ ein Teil meiner Persönlichkeit und warum soll ich das einfach lassen? Solange mir „Helfen“ mehr Kraft gibt als es mir nimmt, werde ich es auch einfach nicht lassen. Und solange die Leute im Hinterkopf haben, dass ich eben auch nur nen 24-Stunden Tag habe, solange wird sich auch nichts ändern.
Wenn dann alles zu viel wird
Ich versuche jetzt mal in groben Zügen mein letztes dreiviertel Jahr zu beschreiben, um Euch einen Eindruck zu vermitteln was ich meine: Gegen Ende letzten Jahres gab es so ein paar Ar**, ich meine natürlich unfreundliche Menschen, mit verletztem Ego die mir und Jens böses wollten. Die Hintergründe sind egal ,aber so fing quasi eine ganz bescheidene Zeit an. Die Moral am Boden mussten wir dann noch auf Grund eines Wasserschadens, den die Mieter über uns verursacht hatten, in eine Ersatzunterkunft ziehen. In dieser nicht behindertengerechten Unterbringung hatte meine Mutter einen Unfall mit dem Auge, welches noch Hell und Dunkel wahr genommen hatte. Es folgten seit dem vier Krankenhausaufenthalte und fünf schwere Operationen.
Nebenbei waren wir gerade auch dabei unsere Redaktion aufzubauen. Gesundheitlich ging es mir immer schlechter bis ich zusammengebrochen bin. Ich hatte alles schleifen lassen, bin nicht mehr zum Arzt und habe aufgehört meine Medikamente zu nehmen weil ich zu kaputt war, mich um Termine und Rezepte zu kümmern. Das ich mich damit in Lebensgefahr gebracht habe war mir irgendwie egal.
Was hat mich jetzt gerettet ?
Das waren unter anderem eben genau die Menschen, für die ich immer da bin. Die Community der Immundefektpatienten, die mich mit persönlichen Nachrichten und Posts oder Telefonaten immer wieder moralisch aufbauten. Ebenso lag es an einem guten Freund, der mich seit Monaten immer und immer wieder drängte endlich wieder meine Behandlung anzugehen. Und dann hatte ich ein sogenanntes Schlüsselerlebnis: Eine der Schwestern, die sich seit Anfang des Jahres immer wieder um Mama gekümmert hat und auch an ihr die Examensprüfung hatte, nahm mich an die Hand und sagte “komm, wir müssen mal reden”. Was glaubt ihr was sie mir gesagt hat?
Auf jeden Fall habe ich mich dann wieder aufgerafft und angefangen mich um mich selbst zu kümmern. Ich bin mittlerweile auf eine andere Behandlung umgestellt worden und habe neuen Mut gefasst die Dinge anzupacken. Ich bin etwas abgestumpft, aber eher so in die Richtung, dass mein Fell dicker geworden ist. Irgendwann werd ich wohl zum IronMan
Dinge die man nicht hören will vs. meine Gedanken dazu!
“Lass den Haushalt doch einfach mal liegen” – Ahja, und dann habe ich den ganzen Mist in ein paar Tagen immernoch liegen -und dann? Was ist, wenn’s mir dann total beschissen geht? Was wenn dann wieder irgendwas dazwischen kommt? … Komm lieber vorbei und hilf mir !
“Wie schaffst du das ?” – Ja, das frage ich mich auch immer. Aber schön, dass du mich noch mal dran erinnerst, wie überfordert ich eigentlich sein müsste.
“Bei dir ist auch immer irgendwas!” – Echt? Ist mir überhaupt nicht aufgefallen in dem ganzen Stress.
“Tust du auch genug für dich?” – Nein, natürlich nicht aber ich glaube, ich hab da noch nen Kinogutschein von vor 2 Jahren liegen.
“Also ich könnte das nicht” – Ja ganz klasse! Ist ja schön, dass du das nicht kannst, aber ich habe mir den ganzen Kram nicht ausgesucht… und was wären denn die Alternativen?
“Also echt, ich finds krass weil man sieht dir das alles überhaupt nicht an.” – Wenn du möchtest kann ich Jens ja mal fragen ob er mir ein T-Shirt entwirftd wo irgendwas drauf steht wie: Ich bin Krank und ernsthaft erschöpft!
“Das ist sicherlich alles nicht so einfach, aber…” – Ah, guck an – mein Gegenüber besitzt eine gute Auffassungs und Beobachtungsgabe und doch absolut keine Ahnung über den Richtigen Zeitpunkt das Wort “aber” zu benutzen.
Die meisten Dinge kann man mir einfach nicht abnehmen und auch das Umfeld muss wissen, dass Menschen wie ich keine Hilfe einfach so grundlos ablehnen. Nein, viel mehr hilft es uns schon zu wissen, das potenzielle Unterstützung vorhanden wäre – und manchmal braucht man auch nur jemanden, der einem selbst richtig zuhört ohne gleich mit gut gemeinten Ratschlägen um sich zu schmeißen. Eben einfach ein wenig Verständnis für die eigene Situation und vielleicht auch einfach mal die Tatsachen beim Namen nennen. Scheiße passiert und blöde Situationen lassen sich nicht immer vermeiden – das darf man auch genau so kommunizieren.
Zum Schluss noch nen paar „gut gemeinte Ratschläge“ für stressige Zeiten
Was ihr nicht ändern könnt müsst ihr einfach radikal akzeptieren sonst geht ihr seelisch zu Grunde. Konzentriert euch auf die wichtigen Dinge und lasst bei unwichtigerem “Fünfe einfach mal grade sein”. Macht euch einen Plan und strukturiert die Termine. Am Besten sorgt ihr dafür‚ dass an einem Tag immer so viele Termine wie möglich stattfinden damit man den Rest der Woche mehr Ruhe hat. Bringt eine Regelmäßigkeit in alles rein, denn an diesem roten Faden könnt ihr euch festhalten wenn der Kopf qualmt.
Ich weiß, man tut sich immer schwer Verantwortung abzugeben, aber dann gebt einfach den Kram ab der eh nur nervt. Es gibt Haushaltshilfen, Fahrdienste und viele andere Möglichkeiten für Unterstützung – wenn euch das alles zu viel ist, dann bittet jemand anderes darum diese Dinge für euch in die Wege zu leiten. Es gibt immer Optionen und es geht immer weiter. Nur hört auf euch selbst und fresst nicht alles in euch rein sondern redet über die Überforderung. Ihr dürft eins nicht vergessen, wenn man sich selbst vergisst, dann kann man auch irgendwann nicht mehr für andere da sein -weil dann ist man tot, seelisch oder körperlich – und naja, dann bekommt nie wieder jemand eure Hilfe und alles war umsonst!