Ein Leben ohne Augenlicht
Wie versprochen geht es an dieser Stelle mit der Geschichte um mein Leben ohne Augenlicht weiter.
Der Unfall
Waltraud: Im Dezember 2015 gab es in der Wohnung über uns einen doppelten Wasserschaden, der lange unentdeckt blieb, bis uns schließlich das Wasser in vier Zimmern die Wände herunter lief. Nach kurzer Zeit schimmelten die Wände so schlimm, dass wir im Februar zwecks Sanierung in eine Ersatzunterkunft ziehen mussten… dort hatte ich einen folgenschweren Unfall.
Ich kannte mich in dieser Wohnung ja überhaupt nicht aus, auch zwei Wochen nach Einzug hatte ich die Wege und Möblierung noch nicht ganz verinnerlicht. So passierte es, dass ich mir beim frühmorgendlichen Toilettengang durch eine Drehung in die falsche Richtung das linke Auge direkt in die Kante einer Glasablage stieß.
Der Schock war so groß, dass ich nicht wusste wie ich reagieren sollte. Ich hatte keine Schmerzen und doch merkte ich, dass irgendwas nicht stimmte. Nach einiger Zeit wandte ich mich wieder zum Gehen und rief nach meinem Sohn. Ich stand plötzlich komplett im Dunkeln (bis dahin konnte ich noch Licht, Konturen und Bewegungen sowie Farben sehen) – alles war weg.
Stephan: Ein ganz schlimmes und weinendes Schluchzen weckte mich, ich hörte wie meine Mama unter Tränen meinen Namen rief. Da stand sie, im Flur, hilflos und ihr lief Blut aus dem Auge.
Waltraud: Als mein Sohn mir sagte, dass mein Auge blutet bekam ich es mit der Angst zu tun. Da ich keine Schmerzen hatte und total aufgelöst war wollte ich aber auch nicht sofort los. Wir sind dann aber doch umgehend zum Augenarzt der einfach nur gesagt hat: “Mensch Waltraud, mein Mädchen, was machst du nur für Sachen!” – dann ging es direkt in die Augenklinik.
Da war ich also wieder hier in Münsters Universitäts-Augenklinik – über 15 Jahre nachdem man mir hier nicht helfen konnte.
Nach einigen Voruntersuchungen geriet ich dann an Professor Uhlich in seiner Hornhaut Sprechstunde. Das Auge wurde in einer fast 6-stündigen Not-Op wieder zusammengebastelt. Ich hatte mir bis auf die Netzhaut das komplette Auge an der Glasplatte durchstoßen und auch die Hornhaut war hinüber.
Also nochmal von vorn – alles auf Anfang
Waltraud: Ich dachte das wars jetzt mit dem Augenlicht. Nach einer Heilungsphase wurde dann in einer erneuten mehrstündigen Op das Auge weiter aufgebaut und alte Vernarbungen entfernt. Professor Uhlich wollte eine dritte Hornhaut ins Auge transplantieren, denn nur so könnte man eine Verbesserung erzielen. Auch wenn ich und alle mir Nahestehenden,diese Möglichkeit einer erneuten Transplantation schon abgeschrieben hatten, haben wir uns dann doch für diesen Eingriff entschieden. Es sollte dieses mal eine Hornhaut sein, welche über die gleichen genetischen Merkmale verfügen sollte wie meine eigenen Zellen – also eine typisierte Hornhaut.
Im Februar diesen Jahres war es dann auch schon soweit und ein Anruf der Hornhautbank erreichte meinen Sohn total überraschend in den frühen Morgenstunden. Ich selbst habe noch geschlafen.
Info: Es kann bis zu drei Jahren und teilweise sogar länger dauern um eine passende Hornhaut zu finden!
Mein Sohn kam in mein Zimmer, weckte mich und sagte: “Mama es gibt eine Hornhaut für dich! Bis mittags hätten wir uns entscheiden müssen, also hab ich ja gesagt”. Als ich dann richtig wach war realisierte ich was er gesagt hat… vier Tage später lag ich auch schon auf dem Op-Tisch.
Jetzt haben wir den 13.04.2017 und nächsten Mittwoch muss ich zum dritten Mal eine Faden-Revision über mich ergehen lassen. Dabei werden unter örtlicher Betäubung die gelockerten Hornhautfäden gezogen und dann neu vernäht. Diese Prozedur ist sehr unangenehm, schmerzhaft und muss leider immer wiederholt werden, da bei komplizierte Augen wie meinem die Fäden sich gerne mal lösen.
Dieses Mal soll ich zusätzlich ein Stück aufgearbeitete Plazenta ins Auge genäht bekommen. Diese fungiert nach neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen als gute Nährstoff-Basis für heilende Augen und wirkt zudem noch gegen Abstoßungsreaktionen und Entzündungsprozesse. Klingt alles immer ziemlich kompliziert und komisch – so ist aber eben auch. Ich habe jetzt die Chance, dass sich wirklich noch etwas tut und da muss ich einfach dran bleiben, so schwer es manchmal fällt und so unangenehm die Prozeduren und Umständen dadurch manchmal auch sind.
Warum das alles?
Waltraud: Ich weiß, viele hätten einen erneuten Versuch bestimmt nicht mehr gewagt. Auch bekomme ich jetzt wieder die vorher schon riskanten Immunsuppressiva und Cortisonpräparate – nur darf man nicht vergessen, dass ich jetzt ganz andere Voraussetzungen habe als vorher. Ich wohne nicht mehr alleine, mir geht es gesundheitlich besser und mein Sohn und Schwiegersohn kümmern sich um mich.
Eine hygienische Versorgung des Auges ist so gewährleistet und auch die Gabe der Augen Medikation, also Tropfen und Salbe, hat durch meinen Sohn eine Regelmäßigkeit, die vorher nicht gegebn war. Es gab sogar schon erste Fortschritte!
Ich kann mich in meiner gewohnten Umgebung wieder besser zurecht finden, ich schmeiße keine Tasse mehr um und nehme sogar war wie ich den Löffel zum Mund führe. Ich stoße auch nicht mehr überall gegen und mit starken Kontrasten und quietschigen Farben kann man mir gute Orientierungspunkte schaffen. Ich sehe ganz leicht die Umrisse wenn jemand vor mir steht und wenn ich mich ganz doll konzentriere, dann sehe ich sogar meine Hand.
Ganz wichtig ist, dass ich wieder merke wenn es hell oder dunkel wird, denn dadurch habe ich auch ein besseres Zeitgefühl.
Eines ist klar, aus meinem Auge wird kein Adlerauge mehr und inwieweit ich da überhaupt etwas erwarten kann, ist noch nicht abzusehen. Zur Zeit bleibt es ein fortlaufender Prozess mit ungewissem Ausgang. Aber es lohnt sich, auch wenn es mir manchmal unglaublich schwer fällt nur ein Stückchen Geduld aufzubringen, so reiße ich mich immer wieder zusammen und freue mich einfach über jeden kleinen Fortschritt.
Was es für mich bedeutet blind zu sein
Waltraud: Viel Lebensqualität einbüßen, Hobbys aufgeben, Kein Schaufensterbummel mehr, Hilflosigkeit, die Gesichter meine Kinder und Enkel nicht sehen, nicht zu sehen wenn mein Gegenüber traurig schaut, nicht mehr alleine kochen zu können, nach dem Toilettengang nicht zu wissen ob alles sauber ist, den Bezug zu Geld verlieren weil ich nicht mehr sehe wieviel etwas kostet, auf andere angewiesen sein oder einfach nur der Blick in einen strahlend blauen Himmel.
Wenn es dunkel wird, dann bekommt auch die Seele einen größeren Schatten. Blind werden ist vor allem ein Verlust all dessen was man jeh gesehen hat. Ich bin heute nicht mehr die Frau von früher – ich habe mich irgendwann selbst aus den Augen verloren und jetzt bin ich täglich dabei mich wiederzufinden.
Ich kann auf Grund anderer körperlicher Einschränkungen keine Blindenschrift mehr lernen und einen Blindenhund zahlt man mir aufgrund meines Alters nicht . Durch meine Gehbehinderung kann ich auch nicht alleine mit dem Blindenstock durch die Gegend laufen.
Mittlerweile besitze ich eine sprechende Uhr und hab so einige Tricks um trotzdem halbwegs zurecht zu kommen. Ich lege sogar mit Hilfe eines Faltbretts unsere Wäsche zusammen und ich kann immer noch perfekt Kartoffeln schälen – aber einfach wird es für mich wohl nie werden.
Was mir hilft und mich aufrecht hält
Waltraud: Das ich hier bei meinem Sohn und Schwiegersohn leben kann ist wohl eine der größten Hilfen, aber nicht nur in Sachen Pflege sondern gerade auch moralisch. Ich bekomme und benötige auch immer wieder Zuspruch. Egal wo ich bin, jeder bemüht sich, dass es mir gut geht und nichts passiert. Ich freue mich über Kleinigkeiten wie irgendwo einen Kaffee trinken oder etwas essen ohne das danach der Tisch geputzt werden muss.
Ich freue mich, dass ich jetzt eine eigene Katze habe, die ohne dass ich füttern oder Wasser geben kann und ohne Leckerlis zwischendruch einfach den ganzen Tag schmusend bei mir oder auf mir liegt. Mich motiviert es, wenn andere sich über meine selbstgemachten Sachen freuen, die aussehen, wie von einem Sehenden gemacht. Es freut mich wenn mein Sohn mir sagt, dass ich die Wäsche besser zusammen lege als er.
Stephan: Sie kann es wirklich besser.
Waltraud: Es sind eben andere Dinge aus denen ich heute meine Kraft ziehe.
Was ich noch loswerden will
Waltraud: Ich mache mir oft Gedanken und wünschte mir mehr machen zu können, aber ich weiß das es so nie mehr funktionieren wird. Ich muss mich einfach damit abfinden und trotzdem mein Leben leben. Ich möchte mich bedanken bei meinem Sohn und Schwiegersohn, weil die beiden mich immer wieder aus meinen Tiefs rausholen.
Bei meiner Tochter und meinen Enkelkindern die, wenn ich zu Besuch komme, alles dafür tun das ich mich wohlfühle.
Und ein ganz großes Dankeschön geht an die wundervollen Eltern von meinem Schwiegersohn, die mich mit allem drum und dran genauso herzlich aufgenommen haben wie meinen Sohn.
Auch danken möchte ich meiner Freundin Mia, die wirklich selbst ganz doll eingeschränkt ist und mir trotzdem das Leben verschönert, indem sie immer wieder etwas mit mir unternimmt.
Und ich danke euch liebe Leserinnen und Leser, denn ihr habt euch die Zeit genommen diesen Teil meines Lebens zu lesen. Wenn die Geschichte meines Auges etwas weiter vorangeschritten ist, dann werde ich mich hier nochmal zu Wort melden, sofern ihr mögt.
Bleibt stark! Es lohnt sich immer zu kämpfen, auch wenn es manchmal schwer fällt.
Eure Waltraud