Im Interview mit meinem Mann und viele Gedanken
Liebe Betroffenen, liebe Angehörige, liebe Leserinnen und Leser,
wenn es um angeborene Immundefekte geht, findet man allerlei Infos im Netz. Behandlungsmöglichkeiten, Diagnosekriterien, Blutwerte und alles andere rund ums medizinische Fachwissen. Was doch so gänzlich fehlt sind Berichte oder Erfahrungen zu den zwischenmenschlichen Themen. Dabei sind doch gerade die Themen Freundschaft, Partnerschaft und Liebe enorm wichtig, wenn man die Erkrankung akzeptieren will.
Im Video “Nur die Liebe zählt” habe ich mich bereits mit der Thematik – Beziehung wenn einer immer Krank ist – auseinander gesetzt. Jetzt werde ich da noch mal in die Tiefe gehen und meinem Mann einfach direkt die Dinge fragen, über die wir sonst selbst auch kaum reden. Ich bin schon ganz auf seine Antworten gespannt. Der Sinn hinter solchen Beiträgen ist der, dass ich damit versuche auf beiden Seiten der Beziehung für mehr Verständnis dem Anderen gegenüber zu sorgen. Es ist schlimm genug wenn ein Mensch krank ist, da muss man nicht noch zusätzlich unter Kommunikationsproblemen leiden müssen.
Aus meiner Perspektive kann ich ganz klar sagen: Liebe und PID, ja das funktioniert!
Auch zu meiner Sicht der Dinge werde ich noch etwas schreiben. Jetzt ist aber erstmal Jens dran.
Fragen an Jens
Bevor es los geht möchte ich vielleicht noch eine Sache ganz kurz loswerden: Ja, klar, das Leben mit einer chronischen Erkrankung in der Beziehung ist manchmal etwas komplizierter als bei anderen, aber es muss deswegen nicht weniger schön sein. Es geht ja vor allem um die gemeinsamen Erfahrungen – und die kann man sich immer irgendwie zusammen gestalten.
So, aber jetzt mal ran an Stephans fragen…
Jens, wenn du “angeborener Immundefekt” oder “PID” hörst, woran denkst du dann als erstes? und sag jetzt nicht meinen Namen
Ich habe dann vor allem zuerst die Rückfrage “Ja, welcher denn genau?” im Kopf. Es gibt ja mehr als nur den einen angeborenen Immundefekt und dann kann jeder davon nochmal unterschiedlich ausgeprägt sein.
Wenn dich jemand fragt: was hat dein Mann eigentlich – wie antwortest du dann?
Meistens sage ich, dass er einen angeborenen Immundefekt hat, also sein Immunsystem aufgrund eines genetischen Defektes nicht richtig funktioniert und sein Körper daher von sich aus nicht ausreichend gegen Krankheitserreger reagieren kann.
Hast du schon mal bewusst jemanden nicht von meiner Erkrankung erzählt weil du Angst hattest die Person damit zu vergraulen?
Nein, das eigentlich gar nicht. Man kann ja schlecht davon sprechen, dass mehr Aufklärung über diese Dinge notwendig ist und dann selbst am entscheidenden Punkt (also im Kontakt und Gespräch mit anderen Menschen) einen Rückzieher machen. Ich passe allerdings den Detailgrad meiner Schilderungen meinem jeweiligen Gegenüber an – es bringt ja auch nichts, wenn das was man erzählt nicht verstanden wird, weil man sich unverständlich ausdrückt.
Jens, was hast du gedacht als ich meine Diagnose bekommen habe?
Endlich wissen wir was los ist.
Was hast du gedacht bevor ich meine Diagnose bekommen habe?
Die große Verdachtsdiagnose Krebs habe ich irgendwie nie richtig geglaubt, dafür sind diese Erkrankungen doch schon zu gut erforscht und man hätte viel schneller einen Beleg für ein Lymphom gefunden. Ich dachte mir, dass da einfach was nicht ganz in Ordnung ist und wir versuchen müssen, den richtigen Ansatz zu finden bzw. finden zu lassen.
Was war für dich die schlimmste Situation in den sieben Jahren in denen wir zusammen sind, wenn du an meine Gesundheit denkst?
Ich glaube das schlimmste war eigentlich die Zeit nach der etwas ungut vorgenommen Leisten-OP, das war allerdings noch eine ganze Weile bevor überhaupt die Vermutung Immundefekt geäußert wurde. Durch die langsame Heilung und das große Hämatom im Gewebe waren Mengen von Schmerzmitteln notwendig, die wirklich schon besorgniserregende Nebenwirkungen hatten.
Was ist deine größte Sorge im Bezug auf meine Erkrankung wenn du an die Zukunft denkst?
Puh, ich denke Mal, die größte Angst kommt gar nicht unbedingt von dem Immundefekt an sich, sondern hat eher mit dem ganzen Drumherum zu tun. Eine ganze Weile hatte ich Angst, das du irgendwann, wenn das mit der Pflege deiner Mama zu Hause Mal nicht mehr notwendig sein sollte, vor einer großen Leere und ohne berufliche Perspektive dastehen könntest. Daraus entstand bei mir dann ja auch so quasi die Idee mit der gemeinsamen Online-Redaktion.
Gibt es Dinge die dich durch meine Erkrankung dauerhaft belasten?
Ja, also unser ökologischer Fußabdruck leidet ganz schön unter den Verpackungsunmengen die im Rahmen der ja nun Mal notwendigen Behandlung anfallen. Ne, mal ganz im Ernst, was wirklich etwas schade war, ist der Rückgang der sozialen Kontakte – weniger in der Zeit nach der Diagnose, sondern eher davor, als sich viele Freunde und Bekannte distanziert haben, weil man einfach nicht mehr mit zu jeder Party oder Aktivität konnte. Das soziale Umfeld hat sich halt schon verkleinert und zusammen mit den anderen Lebensumständen (Pflege von Angehörigen, die Selbstständigkeit etc.) wird es halt nicht einfacher sich da wieder etwas neues aufzubauen – wobei ich das Gefühl habe, dass man so langsam doch mehr und mehr auf Verständnis trifft, wenn man mal neue Leute kennenlernt.
Musst du aufgrund meiner Erkrankung auf etwas verzichten?
Wirklich verzichten würde ich nicht sagen. Manchmal würde man halt auch gerne einfach mal spontan was leckeres Essen gehen oder etwas unternehmen – was halt nicht immer so ohne weiteres unbedingt machbar ist. Aber das ist kein wirklicher Verzicht, eher so ab und an der Gedanke “Warum, kann es nicht auch mal unkompliziert sein”.
Was macht dir im Alltag am meisten zu schaffen wenn du an meine Erkrankung denkst?
Ich glaube das ist am ehesten die Fitness. Man merkt schon, dass es einfach auch Kraft zehrt mit der Situation klar zu kommen, was ja auch ganz logisch ist. Aber ich denke, wenn da jetzt nen paar Sachen angegangen werden für die einfach eine Weile die Zeit fehlte durch die Umstände, dann wird das auch wieder besser.
Hast du schon mal daran gedacht dich wegen meiner Erkrankung von mir zu trennen oder hast du es schon mal bereut mit mir zusammen gekommen zu sein?
Nö, eigentlich nicht wirklich. Ich wusste ja von Anfang an, das gesundheitlich bei dir etwas halt nicht so ganz in Ordnung ist. Außerdem muss ich ganz ehrlich auch sagen, dass ich im Vergleich zu der Zeit als ich dich kennengelernt habe, eher eine leichte Besserung sehe. Klar, einige Nebenwirkungen hat die Therapie, aber so wirklich heftige Probleme gibt es schon viel seltener.
Jens gibt es etwas was ich besser machen könnte?
Lass dir öfter Mal helfen oder lass dir Dinge auch einfach mal abnehmen.
Was möchtest du anderen Partnerinnen und Partnern von Betroffenen mit auf den Weg geben?
Denkt immer daran, dass schlechte Laune die ihr manchmal vielleicht abbekommt, eigentlich gar nicht gegen euch gerichtet sind. Wenn es einem ein paar Tage in Folge nicht wirklich gut geht, der ist dann halt auch mal gereizt – aber das vergeht meist genau so schnell wie es kommt. Man kann und darf auch einfach mal sagen “War wohl ein echt blöder Tag.”
Aus meiner Sicht
Am 23.06.2017 sind Jens und ich 5 Jahre verpartnert. Ende des Jahres sind wir dann schon 7 Jahre ein Paar. Was mein Mann in dieser Zeit alles miterlebt und mitgetragen hat, da hätten andere schon längst das Weite gesucht. Ich weiß nicht immer wie er das macht, aber es liegt wohl einfach an seiner Art mit Dingen umzugehen.
Sicherlich, auch er kann nicht immer verbergen, wenn er sich Sorgen macht und auch er spielt manchmal gerne Dinge runter damit ich nicht sofort wieder in Kriesen stürze. Jedoch ist es auch er, der manchmal schon vor mir merkt, dass etwas im Anmarsch ist und er ist derjenige der Druck macht, wenn ich keine Lust habe mich um meine Gesundheit zu kümmern.
Natürlich bringt es auch Probleme mit sich, wenn einer in der Beziehung chronisch krank ist. Wie in unserem Fall wirken sich meine Erkrankungen unmittelbar auf unsere Freizeitgestaltung, die finanzielle Absicherung und manchmal auch auf das Sexleben aus. Da darf und soll man aber auch drüber sprechen, sonst fängt man irgendwann an sich komische Dinge einzureden.
Ich denke, die Sache mit dem “Reden” ist auch das größte Problem beziehungsweise dieses nicht zu tun. Wir kranken wollen unsere Partner nicht belasten, sie nicht merken lassen wie es uns wirklich geht, wir wollen nicht unattraktiv wirken indem wir die Erkrankung fokussieren und wir wollen einfach keine Last sein.
Die gesunden Partner wollen aber sehr oft mit einbezogen werden. Sie wollen etwas tun können, damit sie sich nicht so hilflos fühlen müssen, sie wollen wissen wie es uns geht – und zwar so ganz und gar weil sie uns lieben. 🙂
Ich rede viel zu selten mit Jens über meine Ängste und Sorgen, aber eines muss jedem klar sein: Alles was mich betrifft, betrifft ihn ja auch! Er ist mein Ehemann, meine zweite Seele und wir teilen unser Leben. Mit Immundefekt ist halt alles einfach immer etwas komplizierter und dramatischer, aber vielleicht deshalb auch noch viel wertvoller
Euer Stephan