Liebe PID Patienten, liebe Angehörige,
das Thema Schwerbehinderung oder Schwerbehindertenausweis ist ein wirkliches Dauerthema und bringt wieder und wieder allerlei Fragen mit sich. Ich habe mich nun hingesetzt und versucht einen verständlichen Überblick zum Thema mit direktem Immundefekt-Bezug, zu schaffen. Vielleicht bekommt ihr so einen realistischen Blick auf die Entscheidungen der Versorgungsämter und versteht warum nicht alles was “krank” ist auch als “Behinderung” angesehen wird.
Grundsätzliches
Als Behinderung gilt die Auswirkung einer oder mehrerer nicht nur vorübergehender Beeinträchtigungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft. Diese Beeinträchtigungen müssen auf einem regelwidrigen körperlichen, geistigen oder seelischen Zustand beruhen. Nicht vorübergehend bedeutet, mindestens 6 Monate lang; regelwidrig bedeutet, abweichend vom Lebensalter typischen Zustand.
Das bedeutet also, dass der Antrag erst gestellt werden kann, wenn die Gesundheitsstörung schon länger als ein halbes Jahr zu Beeinträchtigungen führt oder führen wird. Das lässt sich immer nur anhand von Arztbriefen nachweisen, weshalb man nicht einfach sagen kann, dass man diese Sache schon seit Jahren hat.
Krankheit und Behinderung ist ein Unterschied
Nicht alle Krankheiten rechtfertigen einen GdB. Im Prinzip kann alles, was wieder geheilt werden kann oder was gut mit Medikamenten zu behandeln ist, nicht als Behinderung im eigentlichen Sinne anerkannt werden. Die durch Krankheiten entstandenen Schäden und Defizite allerdings schon. Manche Prozeduren oder Erkrankungen rechtfertigen eine anerkannte Behinderung auf Zeit. Diese Befristung stellt z.B.die sogenannte Heilungsbewährung dar, also die Zeit in der sich Transplantierte oder Krebspatienten erholen, bis sie letztendlich “geheilt” sind.
Ob ein Schwerbehindertenausweis befristet oder unbefristet ausgestellt wird hat unterschiedliche Gründe. Die eben genannte Heilungsbewährung ist nur einer. Das Alter spielt bei der Gültigkeit genauso eine Rolle wie eventuelle Heilungschancen. Ein chronisch krankes Kind wird generell anders bewertet als ein Erwachsener. Kinder benötigen viel mehr Hilfe und sind noch nicht so selbstständig wie die Großen. Dadurch entstehen für das Kind mehr Beeinträchtigungen die es alleine nicht kompensieren kann. Es ist also nicht so einfach den Überblick zu behalten – deshalb schätzen viele Betroffene ihren GdB zu niedrig oder zu hoch ein und sind dann entweder überrascht oder enttäuscht.
Was steht einem Immundefektpatienten denn nun zu?
Bei der reinen Begutachtung des Immundefektes kommt es nicht darauf an unter welchem man leidet sondern wie groß die Probleme trotz der stattfindenden Behandlung sind. Es wird kein Unterschied zwischen einem IgG-Subklassendefekt und einem SCID gemacht, denn der angeborene Immundefekt an sich stellt kein Problem dar. Die daraus resultierenden Infekte und deren Häufigkeit sind jedoch Faktoren zur Berechnung des GdB.
Bei einem angeborenen Immundefekt
- ohne Symptome bekommt man keinen GdB.
- Wenn man trotz Behandlung immer noch Infektanfällig ist, aber nicht an außergewöhnlichen Erregern erkrankt, dann steht einem ein GdB von 20 – 40 zu.
- Wenn man trotz Therapie neben einer erhöhten Infektanfälligkeit auch außergewöhnliche Infektionen durchlebt und dies 1 – 2 mal im Jahr, dann steht einem ein GdB von 50 zu.
Bei schwereren Verlaufsformen kommt ein höherer GdB in Betracht. Das bedeutet, dass ab einer bestimmten Symptomatik der GdB nach oben hin offen ist. Dies ist jedoch immer eine Ermessensentscheidung des Sachbearbeiters, der sich an vorhandenen Befunden und Berichten orientiert und an den persönlichen Ausführungen der Antragsteller.
Und was ist mit den anderen Erkrankungen?
Man muss ganz klar wissen, dass unterschieden wird zwischen Folgeerkrankungen und alleinstehenden zusätzlichen Erkrankungen. Das bedeutet, wenn man durch den Immundefekt Bronchiektasen hat, dann zählt das einfach mit zur Symptomatik des Immundefekts und wird nicht weiter angerechnet. Wenn man aber z.B. ein zusätzliches schweres Asthma hat und dadurch Bronchiektasen entwickelte, dann kann sich ein höherer GdB ergeben.
Im Folgenden kommen nun einige Beispiele von anderen Gesundheitsstörungen oder Situationen für die ein GdB in Frage kommt und die oft mit einem angeborenen Immundefekt einhergehen.
Zustand nach Knochenmark- und Stammzelltransplantation
Nach autologer Knochenmark- oder Blutstammzelltransplantation ist der GdB entsprechend der Grunderkrankung zu beurteilen.
Nach allogener Knochenmarktransplantation für die Dauer von drei Jahren (Heilungsbewährung), danach ist der GdB nach den verbliebenen Auswirkungen und den eventuellen Organschäden, jedoch nicht niedriger als 30 zu bewerten.
Anämien
Symptomatische Anämien (zum Beispiel Eisenmangelanämie, vitaminabhängige Anämien) sind in der Regel gut behandelbar und bieten deshalb keine Grundlage für einen GdB.
Therapieresistente Anämien (verschiedene Arten von Blutarmut), mit geringen Ausprägungen GdB 0 – 10. Mit mäßigen Auswirkungen z.B gelegentliche Transfusionen GdB 20 – 40. Mit starken Auswirkungen z.B. andauernde Transfusionsbedürftigkeit GdB 50 – 70.
Chronische Bronchitis, Bronchiektasen
Als eigenständige Krankheiten – ohne dauerhafte Einschränkung der Lungenfunktion:
leichte Form (symptomfreie Intervalle über mehrere Monate, wenig Husten, geringer Auswurf) GdB 0 – 10.
Schwere Form (fast kontinuierlich ausgiebiger Husten und Auswurf, häufige akute Schübe) GdB 20 – 30.
Bronchialasthma Erwachsene
Geringen Grades – seltene, oft nur saisonale, leichte Anfälle GdB 0 – 20.
Mittleren Grades – häufigere und/oder schwerere Anfälle, mehrmals pro Monat
GdB 30 – 40.
Schweren Grades- Serien mit schweren Anfällen GdB 50.
Eine dauernde Einschränkung der Atemfunktion ist zusätzlich zu berücksichtigen.
Bronchialasthma Kinder
Geringen Grades – mit seltenen, oft nur saisonalen, leichte Anfällen ohne dauernde Einschränkung der Atemfunktion und nicht mehr als 6 Wochen Bronchitis im Jahr. GdB 20 – 40.
Mittleren Grades – häufigere und/oder schwere Anfälle mit dauerhafter Beeinträchtigung der Atemfunktion und 2 – 3 Monate Bronchitis im Jahr. GdB 50 – 70.
Schweren Grades – Serien mit schweren Anfällen und einer starken Beeinträchtigung der Atemfunktion. Mehr als 3 Monate im Jahr Bronchitis. GdB 80 – 100.
Chronische Mittelohrentzündung
Leichten Grades – ohne Narbenbildung und Folgeerscheinungen GdB 0 – 10.
Schweren Grades – Nervenschmerzen, Polypenbildung, Eitern GdB 20 – 40.
Chronische Nebenhöhlenentzündung
Ohne Sekretbildung oder nur zeitweise Sekretbildung GdB 0.
Einseitige dauerhafte Sekretbildung oder zeitweise beidseitig. GdB 10.
Andauernde beidseitige Sekretbildung GdB 20.
Endometriose
Leichten Grades – geringe Ausdehnung und geringe Beschwerden GdB 0 – 10.
Mittleren Grades – mehr Ausdehnung und Beschwerden GdB 20−40−
Schweren Grades – Übergreifen auf Nachbarorgane, erhebliche Verschlechterung des Allgemeinzustandes, Sterilität GdB 50 – 60.
Chronische Gastritis, Reizdarm und Reflux
Ohne weitere Probleme GdB 10
Dies waren ja nur ein paar Beispiele und bevor ihr jetzt in Versuchung geratet, fleißig zu addieren, muss ich euch enttäuschen. Die Einzelnen GdB werden nicht einfach zusammengerechnet. Es wird immer vom höchsten GdB ausgegangen und dann schaut man sich an ob die anderen Gesundheitsstörungen die Erkrankung mit dem höchsten GdB noch zusätzlich beeinflusst. Deshalb ist es auch wichtig möglichst alle Unterlagen einzureichen und in einem ausführlichen Anschreiben zu erklären wo genau die Defizite liegen. Nur so hat der Sachbearbeiter oder Gutachter die Chance auf eine gerechte Beurteilung.
Wie ihr seht, es gibt also absolut keine Pauschalaussagen die man treffen kann, denn jeder Patient ist anders und doch kann man sich anhand bestimmter Kriterien ungefähr ausrechnen was bei einer Antragsstellung rumkommen könnte.
Aber dann bin ich behindert!
Viele Menschen schrecken bei dem Thema Schwerbehinderung ab. Gerade Eltern von chronisch kranken Kindern sehen sich oft in einem Konflikt gefangen. Einen Schwerbehindertenausweis zu beantragen geht ja zwangsläufig mit dem Bewusstsein einher, wie krank das eigene Kind doch ist. Es ist auch als selbst Betroffener eine Sache zu wissen wie schlecht man dran ist und eine andere, es schriftlich in Form eines Ausweises quasi greifbar und sichtbar zu haben. Es ist ein Stempel der meist eher mit negativen Assoziationen behaftet ist. Obwohl eine Schwerbehinderung zum Beispiel Steuererleichterungen mit sich bringt und man dadurch auch einen besseren Kündigungsschutz sowie mehr Urlaubsanspruch hat, bleibt ein bitterer Nachgeschmack, wenn man sich mit der Thematik auseinandersetzt.
Man muss die ganze Sache einfach aus einem anderen Blickwinkel betrachten. Wenn man durch den Ausweis eine anerkannte Schwerbehinderung bescheinigt bekommt, dann hat man je nach höhe des GdB unterschiedliche Nachteilsausgleiche. Genau so wie dieses Wort schon beschreibt worum es dabei geht, sollten wir den Schwerbehindertenausweiß als Ausgleich und kleine Entschädigung für unsere Torturen und unseren Verzicht sehen.
Wenn ihr Hilfe beim Antrag benötigt oder nicht genau wisst wie und worauf man achten sollte, dann kann ich euch Antragsfehler und Kommunikationshilfen ans Herz legen. In diesem Beitrag gebe ich Tipps für das persönliche Anschreiben.
In Tipps und Tricks für den Antrags-Dschungel erfahrt ihr mehr um die Organisation einer Antragsstellung und bekommt nützliche Hinweise um Fehler zu vermeiden.
Ich hoffe dieser Beitrag konnte etwas Klarheit bei dem Thema Immundefekt und Schwerbehinderung schaffen und bin gespannt auf Feedback.
Euer Stephan