Diagnosen, Erfahrungen und Fun-Facts
Liebe Leserinnen und Leser,
die Stammleserschaft weiß ja schon so einiges über mich – und doch hab ich mich und mein Kranksein noch gar nicht so richtig vorgestellt. Für alle Neuen auf unserem Blog ist es vielleicht ganz gut zu sehen bzw. zu lesen, weshalb unsere Themen so vielschichtig sind: Wir betrachten halt verschiedene medizinische Bereiche – da gehen einem die Ideen nicht so schnell aus. Der Mensch muss einfach als Ganzes betrachtet werden, denn nur so versteht man überhaupt was mit dem Körper passiert. Vielleicht hilft der Beitrag auch anderen selbst mehrfach erkrankten Patienten, wenn es darum geht sich nicht allein zu fühlen.
Hallo ich bin Stephan 😉
Ich wurde im Winter 1986 in Gelnhausen (Hessen) geboren und bin damit heute genau 11209 Tage alt. Derzeit wiege ich 59 Kilo, bin 1,63 groß und habe eine nicht zu definierende Augenfarbe. Ich lebe zusammen mit meinem Mann (seinerseits auch Alltagsmacher) formerly known as “mein Jenseblümchen” und meiner Muddi Waltraud. Waltraud ist blind und, naja, bei ihr ist die Gesundheit jetzt auch nicht das Beste was sie zu bieten hat. Fünf Katzen haben wir auch noch bei uns, sowie nen paar Vögel (also echte ).
Seit Anfang 2012 habe ich die Diagnose “angeborener Immundefekt” – da war ich gerade mal 25. Krank war ich schon immer, beziehungsweise war ich wohl noch nie richtig gesund. Früher hat man alles auf meine Psyche geschoben und mir schlichtweg einfach nicht geglaubt, wenn es mir schlecht ging. Heute weiß ich zwar was mir fehlt, doch macht es mich umso wütender mehr und mehr zu merken, dass ich meine Diagnose einfach zu spät bekommen habe.
Lange habe ich mich davor gedrückt, auch wenn man aus den sonstigen Beiträgen genug über mich erfahren kann, so komme ich wohl nicht drumherum meine “Krankenakte” offen zu legen. Also kommt jetzt ganz aktuell und aus erster Hand eben alles was mein Leben manchmal so richtig unerträglich macht. In den ganz persönlichen Fun-Facts erfahrt ihr nicht nur in welchen Krankenhäusern ich schon war oder welche Untersuchungen ich schon hatte‚ sondern ich gebe euch ebenfalls auch einen Einblick in die Abgründe meiner Patientenlaufbahn.
Magen, Speiseröhre, Darm, Haut, Schleimhaut, Schilddrüse, Lymphsystem, Blutbildung, Knochen und Lunge sind schon erkrankt durch den Immundefekt. Die Bauchspeicheldrüse und meine Leber zeigen erste Funktionsstörungen. Ein angeborener Immundefekt kann eben mehr sein als “nur” Infektanfalligkeit.
ICD-10-Codes
K44.9 Hiatus Hernie-K29.6 Hämorrhagische Magenerosionen, Gastritis
K21.0 Refluxösophagitis III K29.8 Chronische Duodentitis
K57.30 Divertikulose des Dickdarmes ( 3 Polypen )
K64.1 Hämorrhoiden 2. Grades K51.9 Colitis Ulcerosa nicht näher bezeichnet
L30.1 Dyshidrosis-E03.4 Atrophie der Schilddrüse
E03.9 Hypothyreose nicht näher Bezeichnet-J47 Bronchiektasen
J45 Asthma Bronchiale-L20 Atopisches Ekzem-M35.7 Hypermobilitätssyndrom
M48.07 Spnialkanalstenose-M17.9 Retropatellarathrose
M79.0 Rheuma-F41.9 Angststörung-F32.9 Chronifizierte Depression
F43.1 Posttraumatische Belastungsstörung
Los geht´s
Nein, ich speise euch jetzt nicht mit einer Sammlung von ICD-Codes ab. Also versuche ich mich mal daran zu beschreiben, was genau mit mir eigentlich los ist. Ich habe chronische Entzündungen in meinem Verdauungstrakt. An irgendeiner Stelle tut immer etwas weh. Mal ist mir schlecht, mal habe ich Durchfall und ein anderes Mal habe ich furchtbare Schmerzen – im Magen, im Darm oder alles zusammen. Auf Grund einer Gewebeschwäche habe ich mittlerweile zwei Brüche im Zwerchfell. In Verbindung mit dem Reflux läuft mir deshalb der Mageninhalt regelmäßig wieder nach oben (dadurch bin ich schon unzählige Male fast erstickt).
Zack da war die Sehne ab
Nur so nebenbei erwähnt führte die Gewebeschwäche schon zu 5 Leistenbrüchen und dem Abriss meiner Bizepssehne am rechten Arm. Durch die ganzen Allergien, und weil ich eben so empfindlich bin, habe ich immer wieder Ekzeme (die entzünden sich dann oft auchschön und eitern wochenlang vor sich hin). Sogar meine Schweißdrüsen sind davon betroffen, es bilden sich im Sommer, wenn es warm ist, viele schmerzhafte Bläschen in meinen Handinnenflächen und Fußsohlen. Es juckt quasi immer irgendwo und ich hatte schon sehr oft Nesselsucht.
Wenn ich sehr stark auf etwas reagiere, dann bekomme ich Asthmaanfälle. Das kann schon mal täglich der Fall sein und kann ebenso durch körperliche Anstrengung ausgelöst werden. Ja, da habe ich dann schon zeitweise über Wochen mehrmals täglich die Angst zu ersticken – das ist wirklich kein schönes Gefühl.
Tief durchatmen
Weil meine Lunge durch unzählige Bronchitiden und Lungenentzündungen geschädigt ist und weil mir schon ein paar Lungenbläschen geplatzt sind, ist es eh nicht mehr so einfach für mich mal richtig durchatmen zu können.
Meine Schilddrüse hat den Geist aufgegeben und schrumpft. Das hat bei mir schon zu diversen Problemen geführt; Hormonschwankungen sind wirklich keine Kleinigkeit. Dazu kommen noch unzählige Allergien und Unverträglichkeiten sowie wiederkehrende Infektionen mit EBV und CMV, die beide bei mir chronisch geworden sind.
Durch den EBV Virus bin ich fast gestorben. Heute habe ich als Folge davon mehr und mehr mit chronischer Müdigkeit und Erschöpfung zu kämpfen. Nachtschweiß, geschwollene Lymphknoten und Aua am ganzen Körper habe ich dadurch phasenweise immer wieder.
Sehr sehr müde
Ich hab oft keine Kraft und Energie mehr, ich schlafe schlecht und bin mangelernährt. Durch die chronischen Schmerzen der Gelenke und im Rücken macht Bewegung momentan keinen Spaß. Mir tuen ja sogar die Fußsohlen weh wenn ich Einkaufen war. Ach, manchmal tut mir wirklich einfach alles weh.
Ich habe wiederkehrende Depressionen seit ich denken kann und bin durch einige schlimme Vorfälle in meiner Kindheit traumatisiert. Das zeigt sich manchmal durch Ängste, kleine Zwänge oder dem totalen Rückzug von allem. Zwar habe ich die Psyche echt gut im Griff, aber doch fällt es mir immer schwerer die Moral aufrecht zu halten.
Dann wäre da noch der Immundefekt
Mein Immundefekt ist ein wenig doof gelagert: Von den Immunglobulinen IgA, IgG und IgM produzieren meine B-Zellen zu wenig. Die IgG-Subklasse 3 fehlt komplett. Ich habe einen Mangel an B-Memory Zellen und einen NK-Zell-Mangel. Bei einer generellen Lymphozytopenie wird auffällig, dass ich einen Mangel bestimmter Zellen habe und zusätzlich funktionieren die übrigen weißen Blutkörperchen nicht richtig.
Auf der anderen Seite produzieren meine Zellen viel zu viel IgE, welches teilweise Werte eines Hyper-IgE-Syndroms erreicht. Zudem habe ich eine vermehrte Bildung von Mastzellen die es sich, zu Gruppen zusammengeschlossen, in meinem Knochenmark gemütlich gemacht haben.
An meiner Schilddrüse, dem Magen und dem Darm sowie meinen Gelenken ist deutlich zu sehen, dass mein Körper sich gegen sich selbst richtet. Die chronischen Viren und meine Anamnese zeigen eindeutig, auch unabhängig von Blutwerten, dass mit meinem Immunsystem etwas nicht in Ordnung ist.
Fazit:
Ich kann nicht essen was ich möchte, ich kann nicht machen was ich möchte, ich kann meinen Interessen nicht nachgehen und ich habe mittlerweile kaum noch ein direktes soziales Umfeld. Entweder ich bin zu müde und zu schlapp oder ich habe Schmerzen.
Ja, genau so geht es mir im Moment und dadurch bin ich ziemlich am Verzweifeln. Doch hier geht es wirklich darum, ein Gefühl dafür zu bekommen, was es bedeutet mit so oder so ähnlichen Gesundheitszuständen zu leben.
Kein Kino, keine Kneipentour, kein Schwimmbad, keine Spaziergänge, kein Freunde treffen, kein Eis essen gehen.
Kein Sport, keine Hobbys, kein Urlaub und manchmal auch kein Geld, weil keine Gesundheit auch keine finanziellen Möglichkeiten bedeutet.
Keine Hoffnung und manchmal keine Zukunft.
Zu alledem kommt dann noch das Leben mit den Bereichen Arbeiten, Wohnen und Liebe. Vielleicht hat man wie ich auch noch die Verantwortung für einen Angehörigen der pflegebedürftig ist. Wichtig ist nur und das darf man nie vergessen:
Man ist nie nur krank, nie nur die Krankheit. Es gibt für jeden Menschen in egal was für schlimmen Zuständen oder Situationen noch die Chance auf mehr. Mehr Lebensqualität… mehr Hoffnung… einfach mehr. Auch wenn man das manchmal nicht so bewusst vor Augen hat – Man lebt ja schließlich trotzdem.
Danke für euer Interesse
Stephan
Fanfact1
Untersuchungen die ich schon hatte
Lungenfunktionstest, Magenspiegelung, Darmspiegelung, Bauchspiegelung, Blasenspiegelung Lungenspiegelung, CT, MRT, Röntgen, Knochenszintigraphie, Lumbalpunktion, Knochenmarkstanze, Blutuntersuchungen, Urinproblen, Stuhlproben, Speichelproben, EEG, Sono Ultraschall, EKG + Belastungs-EKG, 24 h Blutdruckmessung, NLG Nervenleitgeschwindigkeitmessung, Nasale Provokationstetung, Pricktest, Epikutantest, Fructosetest, Lactosetest uvm…
Fanfact2
Operationen die ich schon hatte
3x Abszessentfernung Fußzehknochen
2x Abszessentfernung Kiefer mit Zahnextraktion.
Blinddarm
UPPP Plastik, Gaumensegelstraffung
Entfernung von Rachen und Gaumenmandeln und lymphatischem Gewebe
Milzriss
5x Leistenbruch rechts
Leistennervresektion
Laparoskopische Entfernung von Narbengewebe im Unterbauch.
Fanfact3
Kliniken in den ich schon war
Kreiskrankenhaus Gelnhausen, Kinderhospital Osnabrück, Kinderklinik Hanau, LWL Klinik Marl-Sinsen, Evangelisches Krankenhaus Lengerich, Helios Klinik Lengerich, LWL Klinik Lengerich, Klinik Sonthofen, Marienhospital Osnabrück, Klinikum Osnabrück, Diakoniekrankenhaus G.M.Hütte, Mathias Spital Rheine, Franziskus Hospital Münster, UKM Münster, 5x Kinder Kurklinik Santa Maria Hindelang im Allgäu, 2x Klinik Norderney, 1x Median Klinik Heiligendamm
Ärztefehler
Ich 17 Jahre beim Arzt in der Notaufnahme:
Arzt: Na was tut weh?
Ich: Die rechte Leiste!
Arzt: Das ist typisch deutsche Jungs die sind nicht sauber unsere machen sowas nicht. Geh zu Urologe.
Mama: Hat er das jetzt wirklich gesagt?
Ich: Lass uns gehen.
Beim Urologen
Arzt: Das ist keine Geschlechtskrankheit! Sie haben einen Leistenbruch mit eingeklemmten Samenstrang. Ab ins Krankenhaus sonst verlieren sie den Hoden.
Mit 10 Jahren
Ich wache auf mir ist schlecht und ich habe starke Schmerzen im rechten Unterbauch.
Mama schickte mich zu unserer damaligen Hausärztin (meine Cousine). Die meinte, ich will blau machen und schob alles auf die Scheidung meiner Eltern. So wurde ich nach Hause geschickt.
Am Abend musste ich dann mit fast 42 °C Fieber ins Krankenhaus, wo mir der gerade platzende Blinddarm entfernt werden musste.
Mit 15 Jahre
Mir musste am großen Fußzeh der eingewachsene Fußnagel entfernt werden. Drei Tage später bekam ich furchtbare Schmerzen die sich keiner erklären konnte. So wurde eine Wundrevision gemacht. Ein paar Wochen später das gleiche Spiel. Mittlerweile wurde noch tiefer geschnitten und mehr entfernt. Man lies die Wunde eine Stunde lang ausbluten damit alles rauskommt. Über die nächsten Wochen wurden die Schmerzen immer schlimmer und auch am anderen großen Fußzeh zeigten sich erste Entzündungszeichen.
Zu diesem Zeitpunkt hatte ich auch starke Probleme mit dem Magen – da haben alle um mich herum sich etwas zusammen kombiniert: Sie dachten wirklich die Magenschmerzen sind Psychosomatisch und die Wunden an den Fußzehen manipuliere ich selbst. So kam ich zwischendurch in die Jugendpsychiatrie… nur stellten sie dort nichts fest.
Später wurde dann eine Magenspiegelung gemacht und man fand mit 15 Jahren das erste Magengeschwür bei mir. In einer dritten, etwas aufwendigeren OP fanden die Ärzte in einem anderen Krankenhaus an beiden Fußzehknochen Eiterabszesse, die alles infiltriert hatten. Es wurde an beiden Seiten großräumig ausgeräumt und mit Leukasekegeln versorgt. 3 Monate Rollstuhl und nochmal zwei Monate auf Krücken waren die Folge. Tja, und schuldbewusst mussten dann nur noch die Anderen sein.
… und ich könnte noch andere Beispiele nennen. Von schlichten Kommunikationsproblemen über Fehldiagnosen und schlecht verlaufenen Operationen. Von Vorverurteilung und Pauschalisierung und so richtig dämlichen Ärzten samt Pflegepersonal.
Wie sind eure Erfahrungen?