Liebe Leserinnen und Leser, liebe Patientinnen und Patienten,
ich habe für 9 Wochen meine Immunglobulin- Ersatztherapie ausgesetzt und möchte euch von meinen persönlichen Erfahrungen berichten.
Vorab
Was ich gemacht habe ist richtig gefährlich und ich habe damit unter Umständen sogar mein Leben aufs Spiel gesetzt. Als ich vor bald 6 Jahren meine Diagnose “angeborener Immundefekt” bekommen habe, war ich in einem derart schlechten Zustand, dass mein Behandler gesagt hat, ich würde den nächsten Infekt nicht mehr überleben.
Ich kann nur davon abraten, eine lebensnotwendige Behandlung wie die Immunglobulin-Ersatztherapie einfach ohne ärztliche Begleitung abzubrechen. Allerdings hatte es in meinem Fall nun ja auch definitiv einen Grund, weshalb ich dieses hohe Risiko eingegangen bin. Die Hintergründe und ob sich das Selbstexperiment gelohnt hat, darüber soll es in diesem Beitrag gehen.
Kritik an die Immunglobulin Lobby
Vereine, Lobbyverbände, Ärzte und Hersteller die mit dem Thema Immunglobuline zu tun haben, unterscheiden sich alle in einem Punkt überhaupt nicht: Allesamt propagieren sie dem Patienten wie toll doch die Immunglobuline sind. Einzig die Home-Care-Services oder Apotheken gehen überhaupt auf die Fragen ein, die ein Patient so hat. Und woran liegt das?
Naja, es wollen eine verdammt große Menge Menschen an diesem Medikament verdienen. Ich habe dieses Thema schon öfter angesprochen; Es gibt nicht “das beste Präparat”. Der Ausgangsstoff ist nun mal immer der gleiche – Blutplasma. Sicher sind die Präparate alle und unterscheiden sich eigentlich nur in der Verarbeitungsweise zum Endprodukt.
Am Ende hat man dann entweder ein Medikament für die intravenöse Verabreichung oder für die subkutane Heimbehandlung – beides in verschiedenen Dosierungen und Konzentrationen. Es gibt minimale Abweichungen in der prozentualen Zusammensetzung der Immunglobuline oder etwa bei den Zusatzstoffen. Egal wie man sich letztendlich die Immunglobuline zuführt, es bleiben die Antikörper von einem Plasmapool aus mehreren tausend Plasmaspenden und Spendern.
Die Wahrheit, die uns keiner sagt
Jeder Transfusionsmediziner (und ich habe schon mit einigen gesprochen) würde sofort die Aussage unterschreiben, dass jede Immunglobulin -Gabe einer kleinen Transplantation gleich kommt. Wir führen uns da Eiweiße von vielen tausend anderen Menschen zu und genau deshalb reagieren doch sehr viele Patienten mit Nebenwirkungen auf die Behandlung. Warum sagt uns das keiner?
In den letzten Jahren habe ich mit wirklich vielen Patienten gesprochen die selbst Immunglobuline substituieren und über die Hälfte leidet seit Beginn der Therapie an chronischer Erschöpfung oder Müdigkeit in unterschiedlichen Ausprägungen. Auch klagen gut die Hälfte der Patienten über rheumatische Beschwerden oder chronische Darmprobleme, die erst mit Beginn der Behandlung aufgetreten sind. Warum sagt uns das keiner?
Immunglobuline schützen uns nicht vor Erkältungsviren und anderen Erregern, die schnell mutieren und sich anpassen. Von der Plasmaspende dauert es bis das Immunglobulin beim Patienten ist und in dieser Zeit haben sich z.B. Grippeviren schon wieder verändert. Dadurch können die passenden Antikörper gar nicht im Präparat sein. Warum sagt uns das keiner?
Man käme sich als Patient weitaus weniger dämlich vor, wenn man diese Dinge vorab gesagt bekommen würde und man könnte auch sein eigenes Verhalten durch dieses Wissen anpassen. Wie viel Ängste und Sorgen man sich sparen könnte, wenn einem erklärt wird, dass bestimmte Phänomene einfach manchmal mit dazu gehören. Es wäre so viel leichter.
Immunglobuline der heilige Gral
Es gibt nur eine Patientengruppe bei denen die Therapie fast immer ohne Probleme verläuft. Diese Patienten wurden rechtzeitig diagnostiziert, haben keine anderen Erkrankungen, keine Folgeschäden und in der Regel einen reinen Antikörpermangel. Von diesen Patienten höre ich selten bis kaum, dass sie trotz Therapie häufig krank sind oder viel mit Nebenwirkungen zu kämpfen haben. Sobald aber mehr als nur das IgG fehlt oder auch die Zellen und Komplemente betroffen sind, sobald man schon Autoimmunerkrankungen hat und der Körper durch eine zu spät gestellte Diagnose schon Schäden hat, ist die Substitution von Immunglobulinen in den meisten Fällen nur ein Tropfen auf dem heißen Stein und nicht des Rätsels Lösung allein.
Der Selbstversuch
Vor 10 Wochen war ich in einem ganz schlechten Zustand. Ich litt so an Erschöpfung und Müdigkeit, dass ich zu nichts mehr in der Lage war und tagsüber sogar im Sitzen eingeschlafen bin. Ich war vorher krank und habe mehr gespritzt als sonst aber bekam nur noch mehr Probleme. Ein Spritzenabszess nach dem anderen, Schmerzen während der Behandlung und eine immer schlimmer werdende Erschöpfung. So habe ich einfach meinen Termin im Uniklinikum verpasst weil ich ihn schlichtweg verschlief. Ich wollte auch gar nicht wirklich hin, da bin ich mir mittlerweile sicher.
Ich habe alles was mit dem Thema Immundefekt zu tun hat zu diesem Zeitpunkt verflucht. Ja, da stand ich nun mit meinem Talent, denn die letzten Immunglobuline waren verbraucht und ich hätte in der Uniklinik neue Rezepte bekommen… Määääääääääh! So habe ich mir erstmal gedacht, naja, okay, keine Immunglobuline, keine Nebenwirkungen – erstmal gut; und habe nur meine Dauerantibiose weiter genommen.
Die ersten 5 Wochen
In den ersten vier Wochen hatte sich nicht viel verändert. Mir ging es gleichbleibend… naja. Etwas später darauf habe ich gemerkt, dass es meinem Darm besser geht, so dass ich dann auch mein Dauerantibiotikum abgesetzt habe. Hier muss ich ganz klar sagen, dass meine Darmschmerzen ohne Immunglobuline weg waren – der Durchfall allerdings nicht. Danach ging es mir genau zwei Wochen relativ stabil halbwegs gut. Die Müdigkeit wurde zumindest nicht schlimmer – oder wurde sie sogar weniger? Bis jetzt habe ich zwei Substitutionen ausgesetzt.
Wochen 6– 8
Jetzt habe ich schon drei Substitutionen ausgesetzt und so langsam merke ich genau zwei Sachen: Meine Müdigkeit schwindet in ganz kleinen Schritten und mein Immunglobulinspiegel sinkt wohl. Ich bin leicht erkältet und wie immer wenn mein IgG-Spiegel sinkt, reißt mir die Haut überm Steißbein ein und wird wund. Ich habe viele kleine offene Stellen, Kratzer die nicht verheilen und ich bekomme so langsam eine nicht ganz so gesunde Hautfarbe.
Woche 8 – 9
Ich habe bestimmt 50% an Lebensenergie zurück gewonnen, kann zwischendurch alleine Einkaufen gehen und bin recht produktiv. Ich habe seltener Kopfschmerzen, keine Darmschmerzen mehr und reagiere seltener allergisch als sonst. Ich habe zwei Kilo zugenommen und mir tun die kleinen Gelenke nicht mehr so weh. Aber… jede kleine Wunde an meinem Körper hat sich entzündet und eitert. Ich bin blass, habe Augenringe, ich huste viel, bin dauererkältet, fühle mich krank und bekomme immer wieder erhöhte Temperatur. Jens war nun schon in der Uniklinik und hat ein Rezept für mich geholt. Jeder der mich sieht macht sich Sorgen, denn ich sehe furchtbar aus.
Kurz vor der Substitution
Es ist Donnerstag und ich will nichts mehr als endlich wieder Antikörper. Jetzt ist der Punkt erreicht an dem ich eingesehen habe, dass es ohne bei mir einfach nicht geht. In der Nacht von Donnerstag auf Freitag hatte ich dann eine Reaktivierung meines EBV. Eine schlaflose Nacht mit Nachtschweiß und schmerzhaft geschwollenen Lymphknoten und – tada – jetzt hatte ich auch Fieber. Am Freitag Abend habe ich mir dann ne Portion Antikörper infundiert und bin heilfroh, dass alles gut und problemlos funktioniert hat.
Der Tag danach
Ich bin schon etwas K.O., mir tun die Fingergelenke weh und doch bin ich irgendwie erleichtert. Ich konnte mich überwinden obwohl ich echt Schiss hatte. Vor 10 Wochen war ich an einem Punkt, da ging es mir körperlich und psychisch nicht gut und das Thema Immundefekt war komplett negativ belastet. Alles in mir hatte sich gegen diese Therapie gesträubt und außerdem wollte ich endlich wissen was passiert wenn ich die Behandlung länger unterbreche. Meine Antworten habe ich bekommen.
Je mehr ich spritze um so stärker werden meine rheumatischen Beschwerden in allen kleinen Gelenken. Wenn ich viel infundiere habe ich dauerhafte Probleme mit Schmerzen im Darm. Doch am wichtigsten ist mir die Bestätigung, dass diese Behandlung massiv zu meiner chronischen Müdigkeit beiträgt. Allerdings habe ich keine Wahl, denn schon nach wenigen Wochen ohne Behandlung geht es mir zunehmend schlechter. Da muss nur der passende Erreger kommen und mich könnte es dahinraffen. Also muss ich da wohl durch.
Wohlfühlwert und individuelle Therapie
Ich sammle und beobachte von Beginn meiner Behandlung an meine Blutwerte und besonders die Immunglobulinspiegel. Wenn der IgG-Spiegel unter einem bestimmten Wert fällt, werde ich sehr schnell krank und baue körperlich ab. Wenn mein IgG-Spiegel einen gewissen Wert überschreitet, dann nehmen die autoimmunen Prozesse zu und ich habe mit Dauermüdigkeit zu kämpfen.
Ich glaube ja mittlerweile, dass die Immunglobulin-Ersatztherapie viel individueller gehandhabt werden muss. Kein Patient gleicht dem Anderen und jeder fühlt sich bei einem anderen IgG-Spiegel wohl. Es gibt Hochdosis-Patienten die Unmengen Immunglobuline benötigen um überhaupt ansatzweise in den Referenzbereich zu kommen. Andere Patienten fühlen sich schon wohl bei Werten, die weit unter normal sind. Wiederum andere Patienten sind erst nicht mehr dauerkrank, wenn der Spiegel am oberen Ende der Skala angelangt ist.
Wie gesagt, wir infundieren da nur eine einzige Art von Immunglobulinen und alles andere was defekt ist oder einen Mangel aufweist, wird davon nicht beeinflusst.
Fazit
Vorab wär ich ja schon dankbar, wenn nicht alle Zuständigen immer pauschal suggerieren würden wie “regenbogen-einhorn-wundervoll” die Behandlung mit Immunglobulinen ist. Ich werde mit meinen neuen Erkenntnissen auch meinen Arzt konfrontieren und ihn bitten, meine Erfahrungen in seiner Arzt-Patienten-Kommunikation zu berücksichtigen, damit in Zukunft neudiagnostizierte Patienten auch gleich richtig aufgeklärt werden.
Ich habe verstanden, dass ich die Immunglobuline brauche, aber mehr auch nicht immer gleich besser für mich ist. Ich habe letztendlich verstanden, dass ich mich nicht nur auf diesen einen kleinen Teil der Immunabwehr konzentrieren darf, wenn ich will, dass es mir langfristig besser geht. Wir haben da auch schon etwas angefangen, doch darüber wird euch dann der Jens berichten. Meine Dauerantibiose werde ich nach meinem nächsten Besuch in der Uniklinik und nach neuem Anitbiogram ebenfalls wieder beginnen.
Jetzt bin ich auf euer Feedback gespannt und wie gesagt dies Experiment sollte man auf keinen Fall nachmachen.
Euer Stephan