Liebe Community,
ich sitzt jetzt auf meinem Sofa und reflektiere den heutigen Tag. Ein total emotional aufgewühlter Stephan sitzt hier. Ich habe keine Ahnung wohin dieser Beitrag führen wird aber ich muss schreiben weil ich gerade so unglaublich viel auf dem Herzen habe.
Dieser Beitrag ist den Menschen gewidmet die sich um ein chronisch krankes Kind kümmern.
Guten Morgen
Um 10 uhr heute Morgen bekam ich eine Nachricht über Facebook von Sarah, die gefragt hat ob ich heute in die Uniklinik komme. Sarahs Sohn hat einen angeborenen Immundefekt und hatte eben heute seinen Kontrolltermin. Natürlich habe ich ja gesagt – wie eigentlich immer wenn es bei mir irgendwie zeitlich oder gesundheitlich drin ist. Der Kleine mag mich halt total gerne und ich bin gerne eine Stütze für Sarah. Als wir uns dann um ca. 13 uhr vor der Münsteraner Uniklinik getroffen haben dachte ich nicht, dass dieser Tag anders wird als sonst. Aber heute konnte ich immerhin mal die Schwester von Luca kennen lernen, denn die war heute mit von der Partie. Sarah hatte also nicht nur eine zweistündige Anreise sondern auch noch ein Begleitkind dabei. Mal davon abgesehen, dass ich mir wieder anhören durfte, dass ich ja immer noch dünn und müde aussehe, habe ich mich riesig gefreut Sarah samt Anhang zu sehen. So manch ein Communitymitglied wächst einem ja schon sehr ans Herz und man fiebert quasi ganzjährig mit.
Nach Kaffee und Süßigkeitenautomaten haben wir uns dann auf die Reise in die Kinderimmunologie gemacht und Sarah hat ihren Sohn direkt angemeldet. Das Uniklinikum führt gerade eigene Untersuchungen zu den Wartezeiten durch und wer will kann als Patient mitmachen. Man bekommt ein Papierbändchen um, welches sowohl bei der Anmeldung, wenn man ins Arztzimmer geht und wenn man fertig ist gescannt wird um zu erfassen, wie lange die unterschiedlichen Abläufe dauern. Schon interessant finde ich.
Noch alles cool
Dann wurde Luca aufgerufen. Ich hab noch gefragt “Sarah bist du sicher, dass ich mit rein soll?” – und dann war ich quasi auch schon drin. Bei anderen Ärzten in der Uniklinik und auch bei der Ernährungsberatung für Luca war ich schon dabei, beim Immunologen allerdings noch nicht. Nun kannte ich den Arzt allerdings, weshalb ich mich jetzt frage, warum ich mich überhaupt vorgestellt habe.
Herr Dr. Wittkowski und ich waren schon Mitgestalter auf den gleichen Veranstaltungen und auch so bin ich mir ziemlich sicher, dass er weiß wer ich bin. Drinnen Platz genommen hat Luca sich dann ausgezogen, während ich als Kleiderablage fungierte. Allerdings hab ich die Sachen direkt ordentlich zusammengelegt – ist irgendwie ein Zwang bei mir. Die körperliche Untersuchung war absolut kein Problem und sowohl das Abtasten der Lymphknoten oder das Abhören waren für Luca einfach ne beiläufige Sache. Er durfte sich dann anziehen und Herr. Dr. Wittkowski hat sich sehr viel Zeit für alle Fragen und Probleme die im Raum standen genommen. Bis dahin war auch wirklich alles gut.
Es musste noch Blut abgenommen werden
Erst ist Luca einfach abgehauen wurde aber vom Pflegepersonal wieder zurück gebracht und dann geriet ich in eine Situation die nur schwer auszuhalten war und einiges von mir abverlangt hat. Wie Sarah solche Situationen wegsteckt, wie andere Eltern sowas einfach verdauen, ist mir schleierhaft. Man mag es nicht glauben aber auch in Sachen Kinder habe ich schon wirklich so einiges erlebt. Aber zu sehen wie ein 9-jähriger Junge wegen dem Blutabnehmen anfängt einen Todeskampf gegen die Nadel zuführen, habe auch ich noch nicht gesehen – zumindest nicht so.
Bei Luca ist diese Gegenwehr nicht immer da und ich war schon dabei wie es eben ganz anders läuft. Der Kleine hatte sich mittlerweile unter der Patientenliege versteckt und sich mit all seinen Kräften festgehalten. Er hat sich so gewehrt und er hat so geschrien und ich konnte und wollte in diesem Moment nicht einfach zuschauen. Ich muss hier wirklich sagen, dass eine Kommunikation nicht mehr möglich war. Dieser Junge wollte nicht.
Total hilflos
“Es kann doch nicht sein, dass Sarah jetzt ihr eigenes Kind da unter der Liege herziehen soll” ging es mir die ganze Zeit durch den Kopf. Also bin ich runter unter die Liege und hab mit ihm geredet; habe gesagt, dass ich weiß wie schlimm diese Pikserei ist und alles was damit zu tun hat, ach ich habe alles gesagt was man nur sagen kann aber wie gesagt da war Kommunikation nicht mehr möglich. Also habe ich ihn schreiend und weinend wie er war so vorsichtig wie es eben ging, unter der Liege weggeholt und ihn auf selbige gesetzt. Dann habe ich mich zurück gezogen.
Ich weiß, dass ich ihm nicht weh getan habe und gegen mich hat er sich nicht so stark mit treten und beißen zur Wehr gesetzt. Auch hat er mich nicht beschimpft obwohl er alles Recht dazu gehabt hätte. Sarah musste all dies dann über sich ergehen lassen. Der Satz “Mama ich hasse dich” war wohl noch die mildeste seiner Reaktionen. Sarahs Blick werde ich so schnell nicht mehr vergessen. Was ich in ihren Augen gesehen habe war die Verzweiflung in reinform.
Bevor jetzt irgendwer was sagt, ich war wirklich dabei und jeder Beteiligte war einfach klasse. Luca will keine Betäubungspflaster weil er sagt sie wirken nicht und auch alles was man an Bestechung bieten kann, hat in diesem Moment nicht funktioniert. Auf die Ebene des Kindes gehen und erklären, hat nicht funktioniert. Gemacht werden musste es aber.
Wie damit umgehen?
Die Nadel saß perfekt und der mittlerweile vom Schreien rot angelaufene Luca hatte wohl einen situationsbedingten stark erhöhten Blutdruck – Zack war alles rot, doch auch endlich vorbei. So schnell wie er zum Mini-Hulk wurde, so schnell wurde er auch wieder zum lieben, kleinen Luca der von mir fürs Überstehen in den Himmel gelobt wurde.
Draußen hat Sarah dann etwas gemacht was sie nicht hätte tun müssen: Sie hat sich dafür entschuldigt, dass sie in solchen Situationen lacht und gesagt wenn sie dies nicht tun würde, dann könnte sie solche Erlebnisse nicht ertragen. Zudem will sie vor Luca einfach nicht zeigen wie es ihr geht wenn er sich so wehrt. Ist doch total verständlich wie ich finde.
Jetzt sitze ich hier mit meinem Talent und fühle mich nicht so gut, eben weil ich mich die ganze Zeit frage, was ich hätte besser machen können. In Zukunft wird bei Luca wohl vorher Lachgas gegeben, damit er diese notwendigen Blutabnahmen ohne diese Kämpfe übersteht. (Eine gängige Methode bei Kindern mit Nadeltrauma und wirklich besser als solche Situationen). Vielleicht war es aber auch ganz gut, dass ich es mal in echt mitbekommen habe, jetzt kann ich mich noch besser ins Thema einfühlen. Ich hätte aber auch gern drauf verzichtet.
Mein Respekt an alle Eltern von chronisch kranken Kindern
Euer Stephan